Jeder von uns trägt es in sich – sein eigenes inneres Kind. Es ist unmittelbar mit uns verbunden und immer da. Es lebt mit uns. Es lebt in uns und es begleitet uns auf all unseren Wegen. Es ist ein Teil von uns und beeinflusst daher auch maßgeblich unser Sein und unser Verhalten. Unserem inneren Kind steht unser innerer Erwachsener gegenüber. Ein innerer Elternteil, dessen Aufgabe es ist, sich des inneren Kindes anzunehmen und sich um seine Bedürfnisse zu kümmern. Diese beiden Teile sollten in permanentem Austausch miteinander stehen, um uns als Mensch ein Ganzes sein zu lassen.
Dafür ist es notwendig, dass die beiden Anteile gut miteinander harmonieren, jedoch ist das nicht immer der Fall. Oft ist es sogar tatsächlich so, dass keiner der Beiden Verständnis für den jeweils anderen hat: Der Erwachsene versteht das Kind nicht, versteht seine kindliche Denkweise nicht, versteht nicht, dass alles immer sofort passieren muss, wenn das Kind etwas möchte oder sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dass es seine Bedürfnisse nicht einfach aufschieben kann, dass es dauernd spielen will, von Trieben und spontanen Wünschen geleitet wird, dass es impulsiv ist und über viele Dinge einfach nicht nachdenkt. Andersherum versteht auch das Kind den Erwachsenen nicht. Warum der Erwachsene immer so steif, organisiert und überkorrekt sein muss. Warum er alles immer so genau nimmt und sich nicht auf die Dinge einlassen kann, die gerade um ihn herum passieren und Spaß machen. Immer liegt noch ein Termin oder eine Pflicht an. Ständig ist irgend etwas zu tun. Warum gibt es im Leben eines Erwachsenen nur so wenig Vergnügen?
Doch es ist möglich, beide Anteile in sich zusammenzuführen, wieder Harmonie und Gleichgewicht herzustellen, in sich selbst das wieder zu verbinden, was noch geteilt ist, um selbst wieder eine Ganzheit zu spüren, sich wieder als Einheit mit sich selbst wahrzunehmen. Eine Einheit, die man braucht, um wirklich inneren Frieden zu finden.
Was ist das innere Kind?
Das innere Kind stellt die Teile in uns dar, die in der Kindheit nicht befriedigend von unseren Eltern und Bezugspersonen wahrgenommen und entsprechend umsorgt wurden, wie wir es eigentlich damals gebraucht hätten. Es ist die Summe aller unserer Kindheitsprägungen, die wir durch die Menschen erfahren haben, die uns in den frühen Jahren unseres Lebens begleitet und umsorgt haben, also (Adoptiv-)Eltern, Großeltern, nahe Verwandte und Bekannte.
Hier sind die Gefühle, Erfahrungen und auch Erinnerungen gespeichert, die wir in unserer Kindheit gemacht haben. Das innere Kind stellt unsere instinktive und emotionale Seite dar. Es steht quasi für die Gefühle, die aus unserem Bauch heraus kommen und daher völlig spontan, unverstellt und unhinterfragt auftauchen. Vor allem aber sind hier tatsächlich in unserer Kindheit erfahrene Kränkungen, Verletzungen und Traumata in unserem Unbewussten verankert und verhindern nun im Erwachsenenalter, dass wir unser ganzes Potential entfalten und leben.
Viele Menschen wissen nichts von dem inneren Kind, weswegen es ihren Blicken verborgen bleibt und im unbewussten Teil ihres Selbst verschwindet. Es entzieht sich unserer bewussten Wahrnehmung, was es aber dennoch nicht verschwinden lässt. Unser inneres Kind ist immer da und bestimmt ganz maßgeblich unseren Tag, unsere Verhaltensweisen, unsere Gefühle, unsere Sicht auf die Dinge und vor allem auch unseren Umgang mit uns selbst.
Das innere Kind erkennen
Das innere Kind wird oft mit unseren spontanen Gefühlsregungen verglichen, während die verstandgeprägten Überlegungen und Entscheidungen von unserem inneren Erwachsenen herrühren.
Steht man beispielsweise als erwachsener Mensch öfter mal vor einer Autoritätsperson (wenn es eine solche überhaupt gibt, schließlich ist ja jeder Mensch für uns nur das, was wir ihm zuschreiben bzw. erlauben für uns zu sein, aber hier soll mal der Chef oder Vorgesetzte als klassisches Beispiel dienen) und kann sich in der Rolle des „Untergebenen“ gar nicht wohlfühlen, so von Angesicht zu Angesicht, ist man in solch einer Situation wie verstockt und und kann gar nicht richtig antworten, geschweige denn einstehen für die Wünsche und Bedürfnisse, die man selbst hat, dann ist das innere Kind in uns aktiv. Dann haben wir in der Kindheit ähnliche Situationen erfahren müssen, in denen Erwachsene vor uns standen und uns, ohne auf unsere Bedürfnisse und Gefühle zu achten, gescholten haben und in uns nicht die Not sahen, die eigentlich für uns in diesem Augenblick vorherrschend war. Sie haben uns nicht beschützt, sondern uns eher noch das Gefühl gegeben etwas falsch gemacht zu haben, was nicht mit unserer damals kindlichen Sicht auf die Dinge überein ging. Wie oft legen Erwachsene Kindern bestimmte Verhaltensweisen als Willkür aus, obwohl es eigentlich nur ihr naturgegebenes Temperament ist. Wie oft haben wir in den Augen unserer Eltern Blödsinn gemacht, obwohl wir gedankenversunken die Dinge erforscht haben, um uns ein Bild von der Welt zu machen, sie bis ins kleinste Detail zu verstehen und zu erkunden, was hinter all den Dingen steckt, die ja scheinbar die Welt und das Leben der Erwachsenen ausmachen, ohne auch nur im Bewusstsein darüber zu stehen, gerade etwas „falsch“ zu machen. Und plötzlich folgten Schelte, Schimpfen und vielleicht sogar Strafe. Für Kinder erscheint diese oft wie aus heiterem Himmel. Sie sind überhaupt nicht in der Lage ein Schuldgefühl für ihre Handlung zu entwickeln. Schuld entstand dann erst aus dem Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben als Reaktion auf die Reaktion der Eltern und Bezugspersonen. Die Erwachsenen vermittelten uns, was richtig und was falsch war, wobei diese Bewertungen immer auch nur von deren subjektiver Sichtweise geprägt war.
Auch kannst Du das innere Kind beispielsweise im Restaurant wahrnehmen. Stell Dir folgende Situation vor, die Du ja vielleicht tatsächlich so schon einmal ansatzweise erlebt hast: Du hast Appetit, freust Dich auf das Essen, schaust erwartungsträchtig in die Speisekarte und tust Dich plötzlich mit der Auswahl schwer. Du kannst Dich nicht entscheiden zwischen dem herzhaften Gericht, das sich total lecker anhört und voll Deinem Geschmack entspricht und dem Milchreis mit Zucker & Zimt und Apfelmus (oder die Pfannkuchen mit Apfelmus, die Waffeln mit warmen Kirschen und Vanillesoße, was auch immer). Das ist ja sooo lecker. Das hast Du als Kind schon geliebt. Aber eigentlich bist Du ja jetzt „groß“, erwachsen. Und das andere Gericht klingt auch total lecker. Was sollen also jetzt diese süßen Gelüste?! Schnell wird abgewägt, ob Geldbeutel und Hungergefühl vielleicht beides ermöglichen.
Ja, Dein innerer Erwachsener möchte gern das herzhafte Gericht. Ohne Zweifel lecker und Du kochst Dir das vielleicht daheim so nicht. Also quasi nur ein Schmankerl, wenn man schon mal außerhalb der eigenen Küche isst. Das Süße jedoch wünscht sich Dein Kind. Es möchte beineschaukelnd auf der Bank oder dem Stuhl im Restaurant sitzen, in Vorfreude schwelgen und dann genüßlich diese süßen Leckereien vertilgen.
Nur ein Weg des Umgangs mit dem inneren Kind
Es gibt nur einen einzigen von zwei möglichen Wegen mit unserem inneren Kind umzugehen: Entweder wir lieben dieses Kind und unser innerer Erwachsener umhegt und umsorgt es liebevoll oder wir lehnen die Vorstellung an diese Kind in unserem Inneren ab und es bleibt weiterhin ungeliebt.
Egal für welchen Weg Du Dich entscheidest; das Verhalten und die Gefühle Deines inneren Kindes resultieren ganz unmittelbar und direkt aus Deiner Entscheidung, Dich den Wünschen und Bedürfnissen Deines Kindes anzunehmen und die Verantwortung für Dein Kind zu übernehmen oder Dich seiner Existenz zu verschließen und Dich somit der Verantwortung einfach zu entziehen. Unabhängig von Deiner Entscheidung trägst Du diese Verantwortung trotzdem. Ob Du sie nun tatsächlich in Deinem Leben übernimmst oder nicht. Sie verschwindet nicht, nur weil Du Dich weigerst, dieses Kind in Deinem Inneren als solches anzuerkennen.
Unser inneres Kind abzulehnen bedeutet gleichzeitig uns selbst abzulehnen
Lehnen wir unser inneres Kind ab, lehnen wir ganz einfach Teile von uns ab, die unmittelbar und unweigerlich mit uns verbunden sind. Diese Teile äußern sich für uns in Verlangen, Gefühlen, Bedürfnissen und Verhaltensweisen und sind in unserer Kindheit in ihrer Entwicklung stagniert. Sie sind kindlich geblieben, weil ihre Bedürfnisse in den vergangenen Stadien der Entwicklung in unserer realen Kindheit nicht oder nicht ausreichend befriedigt wurden. Und so bleiben wir innerlich die Kinder und Jugendlichen, die wir einmal waren. In uns überdauern damit alte Verhaltensmuster.
Das heißt also, dass immer dann, wenn ich wütend oder ängstlich bin, mir Sorgen mache, mich vielleicht fürchte, wenn ich mich allein oder gar verloren fühle (und es dafür im Außen keinen wahren Grund dafür gibt), tritt dieses innere Kind in mir in Erscheinung und übernimmt für ein Weilchen das Ruder, ergreift Besitz von mir und drückt durch mich und meine Gefühle seine Not aus.
Wenn zwischen Menschen bzw. in Beziehungen Streit und Konflikte entstehen, besonders Streit, von denen hinterher niemand mehr sagen kann, worum es eigentlich letztlich wirklich ging, streiten eigentlich nicht die Erwachsenen miteinander, die sie heute real sind, sondern es streiten die inneren Kinder miteinander, von denen jedes Einzelne nur seinen Willen durchsetzen und gesehen werden möchte. Die Erwachsenen stehen quasi nur daneben und schauen dem doch etwas absurd wirkenden Treiben zu – ganz oft ohne einzugreifen und die Auseinandersetzung zu einer friedlichen Lösung zu führen.
Das bedeutet jedoch jetzt nicht, dass nur negative Dinge in uns aus unserer Kindheit zurückgeblieben sind, sondern natürlich auch all die positiven Aspekte, die wir mit jedem wirklichen Kind im Außen assoziieren: Spontanität, Verrücktheit, Wildheit, Ausgelassenheit, Verspieltheit, das Bedürfnis sich mal anzulehnen, mal gelobt zu werden oder abends eine Geschichte vorgelesen zu bekommen.
Das sind oft Dinge, die wir uns als Erwachsene nicht mehr zugestehen, die wir unserer Position als Erwachsene für uns nun vielleicht oft nicht mehr als angemessen finden. Daher spielen viele erwachsene Menschen so gern mit Kindern, denn dabei haben sie das Gefühl, dass es gerechtfertigt ist, wenn man sich noch einmal kindlich benimmt, mit auf dem Boden herumkraucht, sich schmutzig macht, herumtollt, albern und ausgelassen ist. Beziehungsweise kitzelt der Umgang mit Kindern den Kontakt zum eigenen inneren Kind (oft unbewusst) wieder – zumindest kurzfristig – wach. Ein Phänomen, das besonders an Kindergeburtstagen gut zu beobachten ist, weil irgendwann die Kinder mit den Freunden im Garten oder an die Kaffeetafel entschwinden, während die Erwachsenen endlich in Ruhe bestaunen können, welche Spielzeuge so geschenkt wurden und welches davon welche neue aufregende Funktion hat. Jeder will dann mal das neue Feuerwehrauto piepen lassen und die Sirene selbst ausprobieren, die neuen Airbrush-Stifte müssen getestet werden, beim Lego wird gehofft, dass es die Kinder gleich aufmachen wollen, damit die Packung schon offen ist und man wenigstens mal einen Blick auf die einzelnen Teile werfen kann.
Das innere Kind als Quelle von Kreativität, Energie und Zufriedenheit
Stell Dir Dein inneres Kind genauso vor wie all die Kinder im Außen, die wir so niedlich und verspielt und lustig finden, die wir behüten und beschützen wollen, denen wir gern zuschauen, wie sie gedankenversunken spielen und völlig mit ihrem Tun und ihrer eigenen kleinen Welt verschmelzen.
Wir alle brauchen mal Zeiten, in denen wir ausgelassen sind, in denen wir uns nicht selbst begrenzen, wir fließen lassen können, was fließen möchte, wir herauslassen, was ist uns steckt und nach Ausdruck verlangt. Wir dürfen genauso auch traurig sein, ängstlich, besorgt, wütend. Wir dürfen alles sein. Und dieses Alles muss nicht immer erwachsen sein.
Verbinden wir uns wieder mit unserem Kind, gehen auf seine Bedürfnisse ein und gehen stets liebevoll mit ihm um, belohnt uns diese Beziehung mit einem Zugang zu unserer ureigensten und tiefsten Quelle. Von hier aus haben wir Zugang zu unserer Intuition, unseren höheren Selbst und können damit auch aus unserer Kreativität schöpfen, was wiederum unglaublich beglückend ist und in höchstem Maße zufrieden macht.
Nimm Dich Deinem Kind wieder an
Es gibt nicht mehr zu tun als anzuerkennen und zuzulassen, dass es da diesen ganz besonderen Teil in uns gibt, der untrennbar mit uns verbunden ist und unsere Aufmerksamkeit braucht. Und wir brauchen nichts anderes tun als uns dieses Teils wieder liebevoll, wertschätzend und umsorgend anzunehmen und uns um ihn zu kümmern.
Wir müssen diesen Zugang zu unserer eigenen Quelle wiederfinden. Wir müssen anerkennen, dass dieses Kind uns innewohnt, dass es ein Teil von uns ist und unser Leben, Sein und Verhalten maßgeblich mitbestimmt und wir müssen es annehmen, genauso wie es eben ist. Mit allem, was es mitbringt an Launen und Bedürfnissen. Unser inneres Kind verlangt nichts anderes von uns als Kinder eben so von Erwachsenen verlangen. Und wir nehmen uns diesem Kind an, sind liebevoll zu ihm und schenken ihm Zuversicht und Geborgenheit, wie wir es bei jedem Kind tun, das uns im Außen begegnet.
Fühle es, vertrau Dir dabei selbst, lass Dich ein auf dieses kleine, aber großartige Wesen in Dir und erkenne die Verantwortung an, die Du Deinem inneren Kind gegenüber hast.
Hier habe ich eine kleine Achtsamkeitsübung für das innere Kind formuliert, mit der Du Dich ihm langsam annähern kannst und als ersten Schritt erst einmal schauen kannst, wie es sich bemerkbar macht in Dir und was es zu welchem Zeitpunkt will.
♥ Ich wünsche von Herzen eine schöne gemeinsame Zeit und tiefe, neue Erkenntnisse. ♥