Wäre es nicht schön, wenn es uns möglich wäre die Herausforderungen des Lebens so anzunehmen, wie sie uns begegnen? Wenn wir mit den Stürmen im Leben friedvoll umgehen könnten? Wenn wir uns anfreunden könnten mit der rauen Seite, die das Leben haben kann? Und woran merken wir eigentlich, dass wir vor einer Herausforderung stehen? Was alles sind Herausforderungen?
Das alles sind wichtige Fragen. Denn natürlich unterscheiden sich die Herausforderungen von Mensch zu Mensch. Wir empfinden nicht alle dieselben Dinge und Situationen herausfordernd, aber mit Sicherheit lässt sich sagen, dass jeder seine individuellen Herausforderungen hat. Und unsere Emotionen und Gefühle lassen uns wahrnehmen, wenn uns ganz persönlich etwas an unsere Grenzen bringt. Nämlich immer dann, wenn uns etwas wütend, traurig, oder zornig macht, werden wir herausgefordert. Immer dann, wenn wir verletzt sind, mit Angst zu kämpfen haben oder uns Sorgen machen. Dann wissen wir, hier sind wir nicht im Fluß mit dem, was das Leben gerade mit uns vorhat.
Oft ist dann unsere erste Reaktion innerlich und gefühlsmäßig zu erstarren. Wir können nicht mit den Geschehnissen im Fluss bleiben, wehren uns gegen die Erfahrung und wollen es anders haben als es ist. Doch wir können lernen anzunehmen, was das Leben uns bietet. Wir können lernen bei dem zu bleiben, was es mit uns macht und was dabei passiert. Und hier sage ich Dir, wie es geht und wie Du es selbst umsetzen kannst.
Sich ins Sein hineinentspannen
In einigen meiner Artikel schreibe ich darüber, dass es wichtig ist, dass wir unseren Kampf gegen das, was uns das Leben entgegenbringt, aufgeben dürfen. In einem davon schreibe ich sogar davon, dass man sich in alles, was uns begegnet, hineinentspannen darf, um uns bewusst davor zu schützen, dass wir „die Schotten ganz automatisch dicht machen“, sobald etwas an uns herankommt, was wir nicht fühlen, wahrnehmen und erleben wollen. Denn damit würden wir uns um kostbare Erfahrungen bringen, die das Leben für uns bereithält, wir stellen uns damit gegen unser eigenes inneres Wachstum und bleiben in der Getrenntheit bestimmten Erfahrungen gegenüber, was wiederum bedeutet, dass wir in unseren wahrscheinlich bereits seit unserer Kindheit vorherrschenden Mustern auch weiterhin verhaftet bleiben und auch immer wieder dieselben Situationen als leidvoll und quälend erleben. Situationen, in denen wir von Gedanken und Gefühlen mitgerissen werden, uns vielleicht sogar als Opfer der Umstände erleben und glauben, dass wir niemals „abstellen“ oder uns „abgewöhnen“ können, vor bestimmten Situationen Angst zu haben, uns Sorgen zu machen oder verletzt zu sein, wütend zu werden, traurig zu sein oder wie auch immer wir reagieren mögen.
Und nun verrate ich Dir etwas: Das müssen wir auch gar nicht. Wir müssen uns nichts abgewöhnen, wir müssen nicht den Rücken straffen und aufrecht sagen: „So, jetzt habe ich keine Angst/ Sorgen/ Wut.“ Der Wandel geschieht auf einer ganz anderen Ebene. Zuerst einmal geht es allein nur um das Erleben. Um das Wahrnehmen. Um das Dabeibleiben, sich nicht wehren gegen die Erfahrung und sich nicht abzulenken von dem, was in uns geschieht.
Klingt eigentlich ganz einfach. Und ist es auch. Eigentlich. Und doch irgendwie auch nicht. Denn unser Geist ist einfallsreich, genuss- und ablenkungssüchtig. Er will nicht viel mit der Realität zu tun haben, wenn diese nicht absolutes Glück, Zufriedenheit und Freude zu bieten hat. Beim leisesten Zweifel sucht sich unser umherspringender Geist Ablenkung.
Dem Leben mit Freude begegnen
Daher rate ich Dir: Erwarte jede noch so kleine herausfordernde Emotion mit Freude. Freude auf das Vorankommen auf dem Weg zu Dir selbst und damit auf dem Weg zu innerem Frieden. Da musst Du nicht auf eine bestimmte Gelegenheit oder ein großes Ereignis warten. Wenn Du noch ungeübt darin bist in Dir und in Deinen Gefühlen präsent zu sein, dann ist es sogar besser, wenn es erst einmal ganz kleine, alltägliche Herausforderungen sind. Da reicht es schon aus, wenn morgens der Wecker zu Zeiten klingelt, die nicht Dein Bio-Rhythmus bestimmt hat und Du Dich unbehaglich fühlst, dass Du Deine Nacht schon beenden musst oder wenn Dir das Wetter nicht zusagst, das Dir begegnet, wenn Du vor die Tür trittst. Wenn sich Deiner Meinung nach „zu viele Idioten“ im Straßenverkehr tummeln, die Straßenbahn zu spät kommt oder der Lebensmittelmarkt heute nicht das Produkt hat, das Du suchst, Dein Kollege seine Zuarbeit nicht zu Deiner Zufriedenheit erledigt hat, das Internet nicht so konstant ist, dass die Online-Konferenz ohne Zwischenfälle über die Bühne geht oder Dein Kind einen anderen Willen hat als Du. Die Gelegenheit kann noch so winzig sein, sie ist super geeignet, wenn sich in Dir auch nur ein Fünkchen Unbehagen breit macht und Du bemerkst, dass Du der Situation mit innerer Abwehr entgegentrittst. Es muss also nicht gleich eine Trennung sein, der Verlust eines geliebten Menschen oder eine schwerwiegende Diagnose.
Öffne Dich für die Erfahrung
Wichtig ist lediglich, dass Du achtsam mit Dir bist und Dich selbst über den Tag hinweg auch immer wieder achtsam begleitest. Außerdem verleiht Dir die freundschaftliche Aufmerksamkeit und liebevolle Erwartung auf Dir begegnende Ereignisse auch eine gewisse Offenheit, die Dich merken lassen kann, wenn Du beginnst Dich der Erfahrung wieder zu verschließen. Das ist auch der Grund, warum Meditationsanfänger zu Beginn denken, Meditation sei ganz leicht. Sie setzen sich hin, sind noch unbedarft und voller Tatendrang, Neugier und Wissensdurst. Sie wollen alles erfahren, was es über Meditation zu entdecken gibt. Sie sind wie Forscher, die eine neue Höhle entdecken. Sie stellen es sich leicht vor nur auf einem Kissen zu sitzen, nichts zu tun und auf das Eintreten des inneren Friedens zu warten. Diese frische, unverstellte und unerfahrene Neugier macht sie offen für das, was kommt. Sie wissen, dass Meditation und Achtsamkeit flüchtige, subtile Erfahrungen sind. Sie wollen nichts verpassen und das Wunder, von dem die ganze Welt zu versprechen scheint, dass es die Befreiung von all unseren Leiden darstellen kann, selbst erleben. Sie wissen, dass sie nun auf dem Weg zu sich selbst sind, dass sie nun etwas tun, was ein Ausweg sein kann. Doch wie immer, wenn sich Routine einstellt, kommen irgendwann auch Schwierigkeiten auf. Entweder weil die Erfahrung doch zu subtil und die eigene Achtsamkeit noch nicht fein genug ist, weil man es sich aufregender vorgestellt hat oder vielleicht auch nur, weil man annahm, dass die Erfolge sich schneller einstellen würden. Oder man hatte – und das ist bei Meditation sehr oft der Fall – einfach nur falsche Vorstellungen davon, was sie tatsächlich ist.
Wenn man glaubt, dass Meditation friedlich ist, dass es friedlich in einem zugeht, wenn man da allein auf seinem Kissen in der Stille sitzt und die Augen schliesst, kann sich schnell Frust breitmachen, denn obwohl alle Bilder von meditierenden Menschen friedlich aussehen, so kämpft jeder doch mit seinen eigenen Dämonen. Die Stille und Unbewegtheit des Körpers lockt sie aus ihren Schatten. Und damit meine ich nicht nur unsere schlimmsten Kindheitserlebnisse, sondern auch „einfache“ Phänomene wie Langeweile, die wir dann beim Sitzen wahrnehmen. Vielleicht Rückenschmerzen, vielleicht Gedanken an Dinge, die es noch zu erledigen gilt und die uns jetzt mitten in der Meditation einreden wollen, dass wir eigentlich gar keine Zeit haben herumzusitzen. Und so verschließen wir unser System wieder, verschließen uns der Erfahrung.
Deswegen versuche immer mit frischer Neugier an die Meditation ranzugehen, wenn Du Dich niedersetzt. Schließlich ist jede Meditation wieder eine ganz neue Erfahrung. Wir wissen vorher nie, was uns begegnen wird. Und nur weil es am Abend zuvor friedlich in unserer Meditation zuging und wir geschafft haben für 15 Minuten – mehr oder weniger – bei unserem Atem zu verweilen, kann das nun heute ganz anders sein. Heute verspüren wir körperliche Unruhe und stellen nach der Viertelstunde vielleicht fest, dass wir nicht eine einzige Minute bei unserem Atem bleiben konnten. Die Meditationsglocke beendet die Meditation und wir haben die ganze Zeit das Beet im Garten gehäckelt, die Einkaufsliste für morgen geschrieben, den nächsten Urlaub geplant oder haben wieder und wieder ein Gespräch mit unserer Chefin durchgespielt.
Bleibe bei Dir selbst, nimm wahr und fühle
Und geh mit dieser offenen Erwartung durch die Welt, durch Dein Leben. Jeder Tag, jeder Augenblick bietet Dir etwas Neues. Auch wenn Du schon zig mal aufgestanden bist und morgens den Weg zur Arbeit zurückgelegt hast, bleibe offen. Verweile so oft es geht und Dir möglich ist in Deiner Wahrnehmung. Was hörst, siehst, riechst Du? Und vor allem, was fühlst Du? Es geht nicht darum den Dingen einen Namen zu geben oder sie zu bewerten, sondern nur sie wahrzunehmen. Fühle, wie Du fühlst, was in Dir vorgeht und wo? Wie fühlt sich an, was Du erlebst? Wo spürst Du die Emotion? Welche Gefühle treten an welchen Stellen Deines Körpers auf?
Wenn Du beispielsweise morgens aus dem Haus trittst und das Wetter ist ungemütlich, dann nimm genau das wahr. Was macht es mit Deinem Geist? Wehrt er ab, was er erlebt? Flucht er über das Wetter? Redet er sich in Rage? Erzählt er Dir, dass immer dann schlechtes Wetter ist, wenn Du das Haus verlassen musst? Nimm es wahr. Du musst es nicht einmal ändern, sondern nur wahrnehmen und fühlen, was dabei in Dir geschieht. Und wenn Du merkst, dass es Dir Unbehagen bereitet, dann bist Du schon mitten in der Achtsamkeit und öffnest Dich für Dein Erleben und die unmittelbare Erfahrung des Moments. Fühle, was Deine körperlichen Reaktionen sind. Wo und wie spürst Du diese Herausforderung? Zieht sich Dein Rücken zwischen den Schulterblättern zusammen? Ziehst Du automatisch die Schultern hoch, um den Hals zu schützen? Ziehst Du mißmutig die Stirn kraus? Verschränkst Du die Arme um Dich? Spannst Du Dich innerlich an?
Entspanne Dich in den Augenblick hinein
Und dann tue etwas, dass Du sonst niemals tust in solch einer Situation: Entspanne Dich hinein in den Augenblick, hinein in Dein Unbehagen, hinein in Dein Sein dieses Moments! Alles ist richtig, wie es ist. Und fühle, wie sich das anfühlt. Halte Deine Sinne offen. Halte Dein „System“ offen und lass die Dinge, die Dir begegnen, durch Dich hindurchfließen. Halte sie nicht fest. Nicht die Gedanken, nicht die Gefühle. Lasse Sie in Dich hinein, durch Dich hindurch und auch wieder aus Dir herausfließen. Als würde der Wind durch Dich hindurchwehen.
Das kann anfangs ungewohnt sein, schließlich sind wir auf völlig gegenteilige Reaktionen konditioniert. Aber wenn Du nach und nach Übung darin entwickelst, wirst Du feststellen können, dass Du „weicher“ wirst in Dir. Nicht weich im Sinne von verweichlicht, sondern im Sinne von geschmeidiger. Du bleibst im Fluss mit Deinen Erfahrungen und erstarrst nicht innerlich, baust keine Mauern und verschliesst Dich weniger dem, was ist und dem, was kommt.
Das geht mit jeder Emotion und jedem Gefühl. Du signalisierst Dir selbst Offenheit, wenn Du Dir innerlich sagst: „Ach, na guck an, so fühlt sich also Wut/ Angst/ Traurigkeit/ Verletztheit an.“ Und dann erforsche es. Erforsche Deine Gedanken dazu, erforsche Deine Körperempfindungen, die dieses Ereignis begleiten und verweile in der Energie, die dieses Ereignis in Dir auslöst. Spüre es.
💚 Ich wünsch Dir viel Freude beim Entspannt-sein. 💚