Immer wieder über die Dauer eines Lebens stellen sich Zeiten ein, in denen wir trauern, denn Trauer gehört in das stetige Auf und Ab unseres Daseins. Wie Wellen kommen und gehen die schönen Dinge, um abgelöst zu werden von den Dingen, die sich weniger gut anfühlen und uns Unbehagen bereiten. Doch auch dabei bleibt es nicht. Denn irgendwann erfüllt uns neues Wohlbefinden. Und obwohl wir das unterschwellig wissen, scheuen wir die Trauer, wir fühlen uns getroffen von den Ereignissen, die uns weh tun, tief bestürzen, uns fassungslos und unbegreiflich erscheinen.
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Trauer – was ist das eigentlich?
Trauer ist die Reaktion Deines Organismus auf einen Verlust. Es ist ein hochemotionaler Akt, der auf einer intuitiven Ebene stattfindet und von uns kaum vermieden werden kann, außer wir flüchten uns in Abwehr oder Ablenkung, sobald wir wahrnehmen, dass wir traurig werden oder es bereits sind. Trauer hat einen nicht zu unterschätzenden Nutzen für unser Sein, denn sie stellt einen Übergang dar zwischen zwei Lebensumständen und hilft uns dabei diesen Übergang angemessen zu bewältigen. Unweigerlich stellt sie sich ein, wenn Abschied oder Verlust in unser Leben treten.
Wenn wir von Trauer sprechen, denken wir meistens an den Verlust eines geliebten Menschen durch seinen Tod. Der Tod macht uns regelrecht sprachlos, lähmt uns und gibt es das Gefühl, dass nichts mehr in uns zurückbleibt. Wir fühlen uns leer, hilflos und den Umständen ausgeliefert.
Wir können aber auch bei anderen Formen von Verlust Trauer verspüren, wie beispielsweise bei dem Tod eines Haustiers, dem Verlust des Arbeitsplatzes, einer Trennung, nach einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Fehlgeburt oder wenn wir das Vertrauen in einen Menschen verloren haben, auf den wir uns verlassen haben.
Der Akt des Trauerns ist nicht zu unterschätzen, denn trauern kostet Kraft, ist anstrengend und stellt für den Organismus eine massive Anstrengung dar. Sie ist die stärkste Stressreaktion, die ein Körper erfahren kann. Trauernde spüren das sehr stark, weil sie schnell ermüden, nicht annähernd so leistungsfähig sind wie sonst und über eine verminderte Reaktions- als auch Konzentrationsfähigkeit verfügen. Sie haben Probleme sich auszudrücken, fühlen sich wie gelähmt, haben Denkstörungen, wenig bis keinen Appetit und schlafen schlecht, was den Organismus zusätzlich schwächt.
Schon allein aus diesen Gründen ist es wichtig, der Trauer und sich selbst mit viel Achtsamkeit und Selbstfürsorge zu begegnen,
Wenn Fragen offen bleiben
Gerade dann, wenn ein Mensch unerwartet verstirbt, bleiben ganz oft Fragen offen. Selbst bei den Menschen, die den Verstorbenen tagtäglich umgeben haben. Denn nicht alles spricht man immer aus. Von vielen Dingen geht man einfach aus. Oder sie sind wie sie sind. Wir akzeptieren sie solange bis es uns zu Fragen drängt.
Doch im Angesicht des Todes eines geliebten Menschen entstehen fast immer Fragen. Wer der Mensch glücklich? Hat er mich ebenso geliebt wie ich ihn? Was hat ihn bewegt in den letzten Tagen? War er mir böse wegen irgend etwas? Hat er gewusst, wie viel er mir bedeutet?
Während unser Alltag in Selbstverständlichkeit zerfließt, ist nichts mehr selbstverständlich, wenn der Tod einen Menschen, der uns nahe stand, aus unserem Leben reißt.
So oft im Leben hat man gehört oder gelesen, man solle jeden Abschied so gestalten als wäre er der Letzte. Immer im Guten auseinandergehen, keine Fragen offen lassen, den Anderen immer wissen lassen, wie wichtig er einem ist. Ich habe seit dem Tod meines Vaters öfter darüber nachgedacht und glaube, trotz all der emotionalen Erfahrung, die ich damit gemacht habe, dass das so nicht immer möglich ist. Es entstehen Situationen, die nicht einfach so geklärt sind. Auch wenn man nicht explizit im Streit auseinandergegangen ist, können Fragen offen bleiben.
Wenn ein Mensch stirbt, ohne dass wir ihn noch einmal haben sprechen können, bleibt nichts mehr. Wir können ihn nichts mehr fragen, ihm nichts mehr mitteilen. Wir können nichts mehr sagen, nichts klarstellen, nichts nachholen. Streitigkeiten können nicht mehr beigelegt werden, Konflikte bleiben ungeklärt. Wir müssen uns abfinden mit der Tatsache, dass wir keine Antworten mehr bekommen, zumindest nicht direkt von der Person.
Aber es kann helfen zu überlegen, was einem der Betroffene auf unsere Fragen antworten würde. Oft spüren wir intuitiv, was die Antwort wäre, auch wenn wir die Richtigkeit dieser natürlich nicht mehr werden untersuchen können.
Aber natürlich gibt es auch Fragen, die durchaus offen bleiben und auf die es so keine Antwort mehr geben wird, geben kann. Dann bleibt uns nichts anderes als die Unabänderlichkeit der Situation und das Bestehenbleiben der offenen Fragen zu akzeptieren und ohne Antwort weiterzuleben.
Den Verlust akzeptieren
Der Tod ist unvermeidlich. Für Andere und für uns selbst. Er gehört zum Leben dazu. Ab dem Augenblick, da wir gezeugt wurden, steht fest, dass wir nur durch den Tod dieses Leben wieder verlassen werden. Der Tod ist das Einzige, das uns sicher ist. Allein wann er uns ereilt, ist unsicher. Wir alle sitzen diesbezüglich im selben Boot und haben die Aufgabe unser Leben zu leben, jeder für sich selbst, und das Beste aus dem zu machen, das uns mit dieser Chance auf Leben geschenkt wurde.
Den Verlust zu akzeptieren, den der Tod bedeutet und der der unsrige sein kann als auch der von anderen Menschen, klingt dabei schrecklich, weil wir doch mit einem wesentlich größeren Bezug zum Leben ausgestattet sind als wir manchmal glauben. Unser Überlebensdrang und unsere Angst vor dem Tod zeigen uns das sehr deutlich.
Doch tritt der Tod in unser Leben und reißt jemanden aus unserer Mitte, wobei wir als Hinterbliebene trauernd zurückbleiben, wirkt Akzeptanz am Anfang unmöglich. Zu groß ist der Schmerz, zu unfassbar der Verlust, zu tief die Veränderung, die der Tod eines Menschen für unser Leben bedeuten kann.
Und trotzdem gehören Verlust und Tod zum Leben. Wir wollen uns lediglich wesentlich weniger mit den von uns als negativ eingestuften Gefühlen auseinandersetzen als mit denen, die wir als positiv ansehen. Wir gehen gar soweit, dass wir sie gern gänzlich vermeiden wöllten, was wiederum allerdings zum Teil bedeutet, dass wir bereits während noch alles gut ist, schon Angst haben dieser Zustand könnte sich irgendwann ändern. Und das ist etwas, das ist uns definitiv sicher: Es wird Veränderungen geben.
Ob es immer gleich ein so schwerer Verlust ist wie der Tod eines Menschen, sei dahingestellt. Oft schauen wir nur anderen beim Trauern zu, während wir selbst froh sind, dass wir nicht so unmittelbar betroffen sind. Aber uns ist sicher und es ist unumgänglich irgendwann selbst betroffen zu sein – durch den Verlust von geliebten Menschen oder durch unseren eigenen Tod.
Trauer braucht Zeit
Daher braucht Trauer vor allem auch Zeit. Es heisst zwar immer, die Zeit heile alle Wunden, doch scheint das nur für die so, die von außen auf solch einen Prozess schauen, ihn selbst jedoch noch nicht erlebt haben. Die Zeit heilt die Wunden nicht. Lediglich die Trauer verändert sich. Das Leiden geht, ein gewisser Schmerz und auch die Sehnsucht bleibt, wenn auch nicht vordergründig und nicht mehr in verletzender Form. Wie eine Narbe: Man sieht sie, sie erinnert uns an die Geschehnisse, manchmal ziept sie auch noch ein wenig, aber meistens nehmen wir sie kaum wahr, obwohl sie uns immer begleitet.
Als mein Vater starb, verglich ich das Leben mit der Trauer in den vergehenden Monaten und Jahren mit einem alten Spiegel. Mit dem Tod meines Vaters bekam sozusagen der Spiegel meines Lebens blinde Flecken. Irgendwann störten sie mich nicht mehr, ich konnte mich ohne Einschränkungen in dem Spiegel sehen, doch waren die Flecken immer da und ich nahm sie immer dann war, wenn ich an meinen Vater dachte, entweder in liebevoller Erinnerung oder auch in schmerzlicher Sehnsucht. Aber ab da war der Spiegel nie mehr so makellos wie zuvor. Das soll nicht so klingen als hätte mein Leben seither Fehler oder sei in irgendeiner Form getrübt. Überhaupt nicht. Aber die Berührung mit dem Tod ist mir seither gegenwärtiger. Sein viel zu früher Verlust hat Spuren hinterlassen, mich lange beschäftigt und ein Stück Trauer ist immer in mir zurückgeblieben, auch wenn dieses Stückchen heute nur noch im Hintergrund, zwischen den Zeilen und tief in meinen Herzen als Tochter wirkt, mich jedoch weder einschränkt noch überwältigt.
Dann erlebe ich ein zweites Mal so unmittelbar den Verlust eines mir so nahestehenden und wertvollen Menschen, der ebenfalls viel zu früh gehen musste und dazu auch noch ohne Vorankündigung aus dem Leben schied, wodurch viele Fragen offen geblieben sind, viele Dinge nicht gesagt oder getan werden konnten.
Kein Trauerprozess gleich dabei einem anderen. Nicht zwischen Menschen und auch nicht bei einem selbst. Wenn wir auf die Dauer unseres Lebens mehrere Menschen verlieren, die uns wichtig waren, so braucht es für jeden einzelnen davon einen eigenen Prozess des Trauerns. Das ist immer abhängig davon, wie verbunden wir mit den Menschen waren und in welche Situation wir aktuell eingebettet sind.
Und selbst wenn die intensive Trauer, die sich mit dem Tod eines Menschen in uns einstellt und die sich zu Beginn in vielerlei körperlichen, emotionalen und mentalen Begleiterscheinungen ausdrückt, nachlässt, so wird es doch immer mal wieder im Leben Zeiten und Gegebenheiten geben, die uns noch traurig werden lassen und in denen uns der Schmerz über den Verlust wieder ganz nahe ist. Und das kann durchaus ein Leben lang so bleiben. Natürlich lassen Schock, Unglauben und Unfassbarkeit über den Tod irgendwann nach und die Zeiten, in denen unser Denken völlig vom Tod des geliebten Menschen eingenommen ist, werden weniger und verschwinden weitestgehend. Es kehrt also wieder ein Alltag in unser Leben, in unser Denken und in unser Fühlen. Es ist ein fließender Übergang zurück in die Normalität, die aber eben nicht bedeutet, dass das, was geschehen ist, auch vergessen wird. Nur leben wir ab dann mit dem Wissen um den Tod und mit dem, was es für uns bedeutet, diese(n) einen Menschen nie mehr wiedersehen zu können und unser Leben ohne ihn/sie gestalten zu müssen.
Jeder trauert auf seine Weise
Trauer ist individuell. Niemand kann Dir sagen, wie Du zu trauern hast. Niemand kann Dir sagen, wie lange Du traurig sein darfst oder musst.
Versuch also auch Du nicht (zusätzlich zu Deinem Trauerprozess) anderen zu entsprechen oder mach Dir keine Gedanken darum, ob Du „richtig“ oder „angemessen“ trauerst. Es gibt beim Trauern kein Richtig und kein Falsch. Alles ist wie es ist. Verstricke Dich nicht in Gedankenkonstrukten, auch nicht über den Verstorbenen, bleibe achtsam und ganz bei Dir. Dann kommt die Traurigkeit immer wieder hoch, muss aber oftmals nicht einmal an konkrete Bilder oder Gedanken geknüpft sein, aber sie löst sich Stück für Stück und Dein Organismus schafft es, sie und den damit zusammenhängenden Verlust zu bewältigen und das Leben ohne diesen Menschen neu auszurichten.
Bewusst und achtsam trauern
Die Trauer ist nicht unsere Feindin, auch wenn sie sich – unserer Bewertung nach – nicht gut anfühlt. Niemand trauert gern, kein Mensch sucht sich die Trauer selbst aus. Sie kommt einfach in unser Leben, wenn sich bestimmte Umstände ergeben. Wir können vorher nicht wissen, wann wir in welchem Maße traurig sein werden. Doch so schmerzhaft, angsteinflößend und verheerend sich Trauer auch anfühlen kann, so gesund ist sie auch. Denn zu trauern ist ein proaktiver Prozess der emotionalen Bewältigung. Deswegen ist es wichtig, achtsam in der Zeit der Trauer mit sich umzugehen, seinen Gefühlen zu folgen und Gefühle so zuzulassen, wie sie aufkommen.
Dabei ist völlig irrelevant, welche Gefühle hochkommen. Für nichts muss Du Dich schämen. Auch in einem Trauerprozess darf gelacht werden, es darf gelöste und entspannte Augenblicke geben. Das sind Phasen, die als Auszeiten der Trauer verstanden werden können, in denen sich der ganze Organismus ein wenig erholen kann. Die Trauer kommt ganz von selbst wieder zurück. Diese Tatsache soll nicht wie eine Drohung klingen, sondern einfach klarmachen, dass die Stimmungen und das Befinden in der Trauerverarbeitung ganz extrem schwanken kann. Und bist Du mal für einige Zeit abgelenkt, vielleicht verspürst Du sogar Freude und kannst das Leben wieder fühlen, kann es sein, dass es sich anfühlt als läge die Trauer nun endlich hinter Dir. Und dann plötzlich kann Dich ein kleiner Auslöser wieder zurückschubsen in die bodenlose Traurigkeit.
Gefühle zulassen
Im Trauerprozess kommt es zu extrem starken und enorm vielfältigen Gefühlen. Die Bandbreite reicht da von totaler Erstarrung, in der es nichts mehr zu geben scheint, nichts mehr an einen herankommt und man alles nur wie durch eine Glocke wahrnimmt über verheerend wirkende Wut, die alles niederbrennen möchte, was sich in Reichweite befindet und sich gegen jeden und alles richten kann bis hin zu Traurigkeit, die schwarz, zäh, klebrig und so tief ist, dass man das Gefühl hat darin zu ertrinken, daran zu ersticken und dass es einem vorkommt als könne danach nie wieder etwas anderes kommen. Als wäre die Trauer der von nun an vorherrschende Zustand in einem. Nichts wird jemals wieder folgen können, dass sich anders anfühlt und etwas anderes bedeutet als das Vergießen von Tränen, die scheinbar endlos vom Körper produziert werden können und niemals versiegen wollen.
Lass zu, was sich den Weg an die Oberfläche sucht. Es ist gesund Deiner Trauer den Ausdruck zu verleihen, nach dem Dir ist. Du darfst also auch wütend sein oder zornig, Du darfst weinen, schreien, toben, wüten. Es ist wie es ist.
Für Dich selbst stellt so tiefe Trauer einen Ausnahmezustand war, weswegen Du auch nicht „funktionierst“ wie Du es sonst tust. Gib dem Raum, was da ist, auch wenn das bedeutet, dass es ständig wechselt. Trauerprozesse verlaufen nicht gleichförmig. Man ist also nicht eine Weile traurig und irgendwann kann man wieder lachen. Sondern zu trauern bedeutet, dass ständig Gefühle durch einen hindurchrauschten, die unterschiedlicher und vielfältiger kaum sein könnten.
Akzeptiere, was geschieht und lass Dich leiten von dem, was sich in Dir auftut.
Selbstmitgefühl als Schlüssel in schweren Zeiten
Selbstmitgefühl ist zu allem der Schlüssel im Leben, weil wir wir sind. Wir können niemand anders sein, müssen niemand anders sein und sind stets gut so wie wir sind. Wir brauchen nichts dazu und wir brauchen an uns nicht weniger als es ist. Selbstmitgefühl ist die Grundlage, von der aus wir das Mitgefühl, Verständnis und Wohlwollen für unser Umfeld aufbringen und unser Miteinander mit anderen Menschen gestalten.
Dazu müssen wir uns allerdings so annehmen können wie wir sind, ohne ständig an uns herumzukritteln, denn wir gehen mit uns selbst meistens ganz schön hart ins Gericht.
In Zeiten der Trauer gilt dasselbe. Zeiten der Trauer sind nicht Zeiten, in denen wir glauben dürfen, dass uns das Leben eine Ohrfeige versetzt hat, weil das Leben keine Lektionen erteilt und weil es nicht straft. Das Leben ist das, was es ist: Das Leben. Unberechenbar, unvorhersehbar und mit allen Facetten, Freuden und Herausforderungen. Das Leben eben.
Es bietet uns Möglichkeiten zum Wachsen.
Trauer in Wellen
Für viele Menschen kommt Trauer in Wellen.
Im Trauerverlauf gibt es immer wieder „gute“ und „schlechte“ Zeiten, die eigentlich dieser Bewertung gar nicht bedürfen. Wie schon gesagt, trauert niemand gern. Kein Mensch sucht sich das aus. Aber das Betrauern von Verlust gehört zu unserem menschlichen Leben, um welche Form von Verlust es sich dabei auch immer handeln mag. Wir müssen nichts in dem Dasein, das wir Leben nennen, in „gut“ oder „schlecht“ einteilen. Diese Beurteilung lässt uns letztlich nur entscheiden, ob wir etwas wollen oder nicht: Die guten Zeiten nehmen wir an, die schlechten vermeiden wir oder versuchen es zumindest. So funktioniert allerdings das Leben nicht.
Und auch Verlust gehört zum Leben. Wir können nicht nur nehmen, was sich für uns gut anfühlt, während wir uns dem Verlust von Dingen oder Menschen und jeglichen Herausforderungen gegenüber versperren. Allerdings bietet uns das Universum all diese Gelegenheiten, gerade so als offeriere es uns ein Angebot, und hält damit die Möglichkeit zu innerem Wachstum für uns bereit. Ob wir auf das Angebot eingehen und es annehmen oder ob wir die eine oder andere Chance auch mal verstreichen lassen, weil wir nur ein bestimmtes Maß an Herausforderungen in einem gewissen Zeitraum ertragen oder weil wir noch nicht bereit sind uns bestimmten Dingen (schon) zu stellen, überlässt das Leben uns selbst.
Zu trauern – gerade auch, wenn der Verlust durch Tod entstanden ist – kann sich in den ersten Tagen und Wochen anfühlen als würde eine überdimensionale Welle wie ein Tsunami über Dich hinwegrauschen, Dich vom Ufer entfernen, hinaus aufs offene Meer tragen und Dich mit all ihrer Kraft, Wildheit und Unberechenbarkeit unter Wasser drücken. Es fühlt sich an wie ertrinken auf dem offenen Meer (zumindest ist das in mir so eine Assoziation). Nirgends gibt es etwas, woran man sich festhalten kann, nichts was zu einer Rettung beitragen kann. Man kämpft und kämpft und kämpft. Man versucht immer und immer wieder den Kopf über Wasser zu bekommen, manchmal gelingt es einem und man kann Luft schnappen. Nur kurz, aber ein paar Sekunden, manchmal Minuten. Und dann erwischt einen die nächste Welle und drückt einen wieder nach unten. Die See ist aufgewühlt und stürmisch. Und die Wellen schwappen über einen hinweg, das Meer tobt und sehr schnell ermüdet man, wird schwächer, strauchelt. Die Hoffnungslosigkeit auf Rettung ist derartig groß, dass man resigniert, das Kämpfen aufgibt und das Meer tun lässt, was es tut. Man sinkt tiefer und tiefer unter Wasser, die Trauer ist wie ein Sog und man gibt sich hin, die Tränen fließen, man weint, schreit seinen Schmerz heraus und lässt zu, was sich sowieso nicht mehr zurückhalten lässt. Und dann beruhigt sich alles wieder von allein. Irgendwann verliert die Verzweiflung ihre Kraft, wir als Trauernde unsere Energie. Geschunden und tief getroffen, ausgelaugt und müde werden wir ans Ufer gespült. Bis die nächste Welle über uns hinweg schwappt und der Kreislauf der Tränen und des Ungemach erneut über uns hereinbricht.
Mit der Zeit werden die Abstände der einzelnen Wellen größer. Die lichten Augenblicke nehmen zu. Immer öfter werden sich Momente hineinmogeln, in denen man auch mal lachen kann und schon geradezu „vergisst“ traurig zu sein. Anfangs mag das komisch sein. Doch sind es kostbare Momente. Denn es sind die Momente, die uns erahnen lassen, dass es nach der Zeit der Trauer auch irgendwie weitergehen kann. Dass es da noch etwas gibt, auch ohne den Menschen, dessen Tod uns so sehr in die Verzweiflung gestürzt hat.
Aber gib Dir Zeit und wundere Dich nicht darüber, wenn auch nach Monaten noch solche Wellen kommen, die Dich immer mal noch wieder unter Wasser ziehen. Genieße die Zeiten, die sich wieder gut anfühlen, gestehe Dir aber auch weiterhin die traurigen Augenblicke zu, die auch nach Jahren noch hin und wieder zu Dir zurückfinden und Dich an Deinen schweren Verlust erinnern.
Denn Trauer als Prozess hat kein richtiges „Ende“
Das mag erst einmal erschreckend klingen, meint aber nicht, dass es immer so bleibt, wie die Trauer in den ersten Tagen, Wochen oder Monaten nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen. Mit der Zeit der Verarbeitung des Schmerzes und den Geschehnissen, die auf den Tod eines Menschen folgt, verändert sich das Dasein und die damit zusammenhängenden Emotionen natürlich. Doch auch wenn Trauer „erfolgreich“ und gesund bewältigt wurden, impliziert dies nicht, dass man irgendwann einen Strich unter dieses Ereignis machen kann. Den Menschen, den wir betrauern, gab es in unserem Leben. Wir können nicht ungeschehen machen, was wir mit ihm erlebt haben. Wir können das Wissen um und die Erinnerungen an ihn nicht „auslöschen“. Das müssen wir auch gar nicht. Die Trauer lässt mit der Zeit nach, verändert sich. Während noch in den ersten Wochen und Monaten die Ereignisse von Tod und Verlust unser Denken und Empfinden dominieren, rücken diese Themen mit der Zeit immer mehr und mehr in den Hintergrund und andere Dinge nehmen uns wieder mehr und mehr ein. Dass der geliebte Mensch gestorben ist, wird ab da immer ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens bleiben. Sein Abbild bleibt in uns zurück, die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit tragen wir immer in uns und diese schönen Bilder nehmen wieder mehr und mehr Raum rein, während die Trauer abebbt, auch wenn es selbst Jahre nach seinem Tod Momente gibt, in denen wir die Traurigkeit des Verlustes wieder in uns spüren oder uns bestimmte Ereignisse traurig werden lassen. Der Verlust, den wir erlebt haben, ist dann Bestandteil unseres Lebens. Und auch die Trauer ist dies. Deswegen heilt die Zeit nicht alle Wunden, sondern es gilt eher die Trauer und den Verlust in unser Leben zu integrieren.
Rituale
Kleine Rituale können Dir bei der Verarbeitung und dem Akzeptieren des Verlusts helfen. Dabei sind die Art und Weise der Rituale so vielfältig und individuell wie wir Menschen es sind. Dabei sind Dir keinerlei Grenzen gesetzt. Was sich für Dich gut anfühlt und Dir richtig erscheint, kannst Du machen. Sei es ein großes Ritual oder auch nur ein ganz winziges.
Als mein Vater im November 2009 starb, fragte mich mein damals fünfjähriges Kind, wo der Opa denn nun eigentlich sei. Ich sagte ihm, dass ich es nicht sicher weiß. Er fragte weiter, ob es denn möglich sei, dass er uns dennoch noch sehen könne. Und ich antwortete, dass ich mir vorstellen kann, dass er da draußen irgendwo sei und bestimmt immer mal in unserer Nähe ist und vielleicht auch ab und zu nach uns schaut. Da schlug mein Kind vor eine Kerze ins Fenster zu stellen, damit der Opa unser Fenster sehen kann und weiß, dass es auch UNSER Fenster ist zwischen all den Fenstern, die die Mehrfamilienhäuser in Städten halt so haben. Seither steht in den dunkleren Monaten des Jahres jeden Abend ein Teelicht in unserem Fenster. Mittlerweile ist das Ritual so völlig auf mich allein übergegangen. Und obwohl der Tod meines Vaters so weit zurückliegt, finde ich den Gedanken schön.
Du kannst etwas Ähnliches machen, wenn es Dich tröstet, aber auch alles andere, was Dir gut tut und Dich in Deiner Trauer unterstützt: den Friedhof und das Grab besuchen, Orte aufsuchen, an denen Ihr gemeinsam schöne Zeiten verbracht habt oder einen Plätzchen in dieser Welt, an der sich der Verstorbene gern aufgehalten hat, Ruhe und vielleicht gar Inspiration gesucht hat, eine bestimmte Musik hören, Briefe an den Verstorbenen schreiben, in dem Du die Dinge formulierst, die vielleicht offen geblieben sind, Du regelmäßig sein Lieblingsessen kochst und genießt, Du mit bestimmter Kleidung Deiner Trauer Ausdruck verleihst.
Für die Verarbeitung Deines Verlusts und die Bewältigung Deiner Trauer wünsche ich von ganzem Herzen viel Kraft, Mut und Zuversicht. Mögen Dich positive Erinnerungen durch die schwere Zeit tragen..