Wir alle sind in unserem Leben immer und immer wieder mit Unbehagen und Leid konfrontiert. Und so oft, wie wir uns dem ausgesetzt sehen, genauso oft versuchen wir zu entfliehen, es zu umgehen oder uns abzulenken. Um nichts wollen wir es erleben. Unser Leben gleich deswegen einer Flucht, die irgendwann unsere Seele schwer macht, uns auslaugt und vielleicht sogar Auslöser für Depressionen und Angst sein kann. Doch es gibt auch noch einen anderen Weg.
***
Ich höre in Meditationskreisen oder -stunden immer wieder, dass Menschen mitteilen, dass sie nicht meditieren konnten oder können, weil es ihnen gerade nicht gut geht, sie viel im Kopf haben oder zu viel zu tun ist. Eigentlich alles Gründe, um sich gerade deswegen der Meditation zu widmen. Je schlechter es uns geht und je weniger wir eins mit uns selbst sind, desto mehr Anlass haben wir zu meditieren. Eigentlich gibt es NICHT EINEN EINZIGEN Grund, NICHT zu meditieren.
Unser Leben ist ein Kampf gegen uns selbst. Und damit im Grunde gegen das Leben. Denn WIR sind das Leben. Wir Menschen sind als Wesen nur EIN Ausdruck von vielen, in denen sich dieses Leben ausdrückt. Und doch wollen wir es nicht spüren. Wir wenden uns ab, versuchen zu flüchten, uns abzulenken, um Aspekte dieses Lebens nicht fühlen und erleben zu müssen. Nämlich immer dann, wenn es uns nicht gut geht und sich Unbehagen in uns breit macht. Dieses Unbehagen hat viele Gesichter. Wir können traurig sein oder trauern, wir können wütend oder zornig sein, wir können uns verzweifelt fühlen, verwirrt oder unsicher sein, neidisch, eifersüchtig, einsam, überfordert, hilflos, besorgt, unruhig, ausgelaugt oder müde. Wir können Angst haben, ja regelrecht Panik empfinden. Wir können uns schämen, ekeln oder ärgern.
Es gibt immer einen Grund zu meditieren
Wenn es Phasen in unserem Leben gibt, in denen wir sehr sensibel sind oder sich mehrere Dinge kurz nacheinander ereignen, die wir als negativ bewerten und auf die wir mit Unbehagen reagieren, haben wir schnell das Gefühl, dass etwas mit unserem Leben nicht stimmt, dass wir gerade einfach Pech haben oder uns das Schicksal verfolgt. Menschen suchen in diesen Phasen Hilfe und versuchen sich dann nicht selten auch in Meditation. Sie suchen Frieden, Zufriedenheit, Entspannung und Stille. Sie wollen sich befreien von den Martern, die das Leben ständig für uns bereithält und hoffen darauf, dass die Meditation ihnen das beschert. Nach wenigen Versuchen sind die Menschen dann enttäuscht und glauben, dass Meditation nichts für sie ist, weil eben nicht die erwartete Entspannung oder Ruhe in ihnen einkehrt. Das liegt allerdings nicht daran, dass die Meditation nicht hält, was sie verspricht. Denn die Meditation verspricht nichts. Die Meditation ist kein Versprechen daran, dass sich die Dinge besser anfühlen, dass Ruhe in uns einkehrt, unsere Sorgen aufhören, wir weniger Gedanken haben oder wir gar bessere Menschen werden. Sie ist keine Garantie auf schnelle „Erlösung“.
Meditation hat nicht einmal ein Ziel. Dafür aber einen Sinn. Sie ist eine Einladung. Eine Einladung ins Hier und Jetzt zu kommen, den Moment zu fühlen und sich damit ganz direkt, unmittelbar und bewusst mit dem Leben zu verbinden. Die Meditation verwischt die Schleier des unbewussten und automatischen Agierens und Reagierens hin zu einer Bewusstwerdung der Dinge. Sie zeigt uns das, was wirklich ist und befreit uns von dem, was wir wollen, das ist.
Der Mensch ist ein genusssüchtiges Wesen. Wir sind verliebt in den Zustand der Freude, des Wohlfühlens und des Glücks. Und das ist vollkommen in Ordnung. Doch dürfen wir darüber nicht vergessen, dass es das Eine nicht ohne das Andere geben kann. So funktioniert das Leben nicht. Was wäre ewiges Glück? Wir wüssten nicht, was Glück bedeutet, wenn es nicht auch Leid und Unglück gäbe. Das Leben kann nur im Wechsel dieser Ambivalenzen bestehen.
Für die meisten von uns kommt irgendwann im Leben der Punkt, an dem wir mehr wollen als davonzulaufen. Wir wollen ankommen. Wenn wir also atemlos sind und Flucht keine Lösung mehr darstellt, bleibt uns nichts anderes übrig als uns dem ganzen Spektrum des Lebens zu stellen und alle Aspekte unseres Daseins und Fühlens anzuerkennen und es als Teil unseres eigenen Seins zu akzeptieren. Doch wie macht man das? Wie nimmt man das an, was sich nicht gut anfühlt?
Werde achtsamer mit Dir selbst
Verfeinere Deine Achtsamkeit. Spüre Dich den Tag über immer wieder. Nimm wahr, was in Dir vorgeht und erlaube Dir, Deine Gefühle zu spüren. Du musst nicht darauf warten, dass sich ein bestimmtes schwerwiegendes Ereignis einstellt, um mit der Übung zu beginnen. Der ganz normale Alltag reicht vollkommen aus. Jede einzelne Stunde ist durchzogen von den unterschiedlichsten Gefühlen. Nimm sie einfach nur wahr. Die, die Du als positiv wahrnimmst als auch die, die Du als negativ bewertest.
Meditiere immer, egal in welchem Zustand
Lass die Meditation zu einem Ritual in Deinem Leben werden und bleibe dabei diszipliniert. Lass Dich nicht abschrecken von Deinen Gefühlen oder den Umständen in Deinem Leben. Es gibt keinen Zustand, in dem man nicht meditieren kann. Dir passiert nichts, wenn Du Deine Gefühle fühlst. Wir selbst belegen sie mit dem Etikett „schlecht“, „negativ“ oder „unangenehm“.
Gut ist es, wenn Du Dir – gerade für den Anfang – eine feste Zeit dafür bereithältst, um Dich niederzusetzen. Zu Beginn ist es wichtig, Dich dann auch an Deine Meditationszeiten zu halten, weil sie Dir helfen, nicht vor Dir selbst davonzulaufen. Du setzt Dich nieder, weil es DEINE ZEIT zum Meditieren ist und nicht, weil Du Dich gut genug zum Meditieren fühlst. Die Zeiten, die von Unbehagen geprägt sind, sind auch die Zeiten, die für uns das wahre Entwicklungspotenzial bereithalten. Wir lernen weniger über das Leben und uns selbst, wenn wir nur in „guten Zeiten“ meditieren. In den Zeiten, die wir für „gut“ befinden, ist es leicht sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Es ist einfach bei sich zu bleiben und den Zustand, der vorherrscht, zu fühlen, wenn man mit sich selbst „im Reinen“ ist. Herausfordernder wird es, wenn es uns nicht gut geht. Doch erst, wenn wir auch bei uns bleiben können in den stärksten emotionalen Stürmen, werden wir dem, was wir uns wirklich wünschen – nämlich inneren Frieden und Gleichmut – näher kommen können.
Entspanne Dich hinein in das Unbehagen
Und wenn Du dann da sitzt und meditierst, genieße, wenn es sich gut für Dich anfühlt, wenn Du Dich gut fühlst und es glückliche Momente sind, die Du wahrnimmst. Gegen das Glücklichsein und die Freude ist auch weiterhin überhaupt nichts einzuwenden. Genieße, wenn Dir die Bewegungslosigkeit, die Stille um Dich herum und das Sein mit Dir selbst gut tun.
Doch bleibe auch dann bei Dir, wenn Du Dich nicht wohl fühlst, wenn Du Angst hast, in Sorge um etwas bist, Dich Wut plagt, Dich schämst, Du traurig bist oder was immer Dir auch Herausforderndes begegnen mag. Gefühle kommen und gehen wie die Wellen am Strand des Meeres. Es gibt keinen Grund einem Gefühl den Vorzug vor einem anderen zu geben. Fühle, was da ist, egal um welche Emotion es sich auch handeln mag und entspanne Dich in Deinen Zustand hinein. Jedes Gefühl ist nichts weiter als Energie und stellt keine Bedrohung dar.
Manchmal setzen wir uns auch nieder und alles ist gut und das Unbehagen entsteht erst in der Meditation. Uns wird beispielsweise langweilig, unsere Gedanken werden abwegig und sehr drängend, kramen in alten Erinnerungen und beschwören vergangene Dämonen herauf. Oder unser Verstand will uns erklären, dass wir eigentlich gar keine Zeit haben hier herumzusitzen und nichts zu tun. Dann können wir gut spüren, wie sich die Energie in unserem Inneren aufbaut und wahrlich unerträglich wird. Dann kann es schwer sein dabeizubleiben, sitzen zu bleiben und in dem Zustand zu verweilen. Doch bleibe bei Dir und nimm wahr, dass es nichts weiter als Energie ist, die sich aufbaut, übermächtig zu werden droht, aber sie tut nur gefährlich. Nichts geschieht mit uns, wenn wir sie fühlen. Außer dass wir beginnen feiner wahrzunehmen, wie unser Dasein beschaffen ist und wir die immer wiederkehrenden, endlosen Muster zu erkennen lernen und ihre Macht über uns mit reiner Achtsamkeit enttarnen.
Auch müssen wir nicht werten, was uns begegnet. Nichts macht es notwendig, dass wir eine Wertung abgeben. Das Urteil, ob ein Gefühl positiv oder negativ, gut oder schlecht ist, ist unnötig und hat keine Relevanz.
Anfangs mag das ein wenig subtil und widersprüchlich klingen, sich in etwas hineinzuentspannen, was wir doch eigentlich gar nicht fühlen wollen, doch wirst Du mit der Zeit feststellen, dass es kein Ding der Unmöglichkeit ist. Wir können uns in jeden nur erdenklichen Gefühlszustand hinein entspannen.
Es bedeutet, dass wir das Leben in seiner ganzen Fülle annehmen. Es bedeutet, dass wir anerkennen, dass alles, was wir fühlen können, zum Leben dazugehört. Und es bedeutet, das Leben zu akzeptieren und damit auch uns selbst. Nichts ist es mehr oder weniger wert gelebt, erlebt und empfunden zu werden. Kein Gefühl steht einem anderen nach. Wir müssen nicht mehr davonlaufen, uns verstecken oder Unbehagen mit Aktionismus übertünchen. Wir dürfen uns den Wellen des Lebens hingeben, uns von ihnen tragen lassen, ohne Angst haben zu müssen unterzugehen.
Gib Dir Zeit
Mit der Zeit kannst Du feststellen, dass weder die guten noch die vermeintlich schlechten Gefühle überwiegen. Sie sind ausgewogen, lediglich unser Fokus verzerrt unsere Wahrnehmung, das Bedürfnis danach, dass es uns, so oft es nur geht, gut gehen möge und wir uns wohlfühlen. Du wirst sogar feststellen können, dass es irgendwann keine Bedeutung mehr hat, ob es Dir gut geht oder nicht. Nicht, dass das bedeutungslos wäre, doch Achtsamkeit und Meditation lehren Dich, dass DAS ALLES das Leben ist. Nichts ist davon ausgeschlossen. Und Du brauchst nichts weniger und auch nichts mehr als das, was gerade da ist. Alles hat seine Berechtigung und seine Bedeutung. Der Kampf darf aufhören, Du darfst loslassen und sein, wie Du bist. Das Leben darf sein, wie es ist und mit uns machen, was es eben mit uns macht. Ändern können wir es doch sowieso nicht. Das Leben lebt sich. Und wir sind mittendrin. Ob wir mögen, wie es ist oder nicht. Das soll nicht heißen, dass wir keinen Einfluss auf unser Leben haben, aber es wäre utopisch anzunehmen, dass wir dauerhaftes Glück als solches herstellen können, indem wir versuchen zu vermeiden zu fühlen, was wir fühlen. Nur die Akzeptanz über die Wechselhaftigkeit unseres Daseins kann uns befreien und wirklich glücklich machen.
Wie das praktisch aussieht, erkläre ich Dir hier.
Ich wünsche Dir alles Gute, eine achtsame und entspannte Zeit mit Dir selbst.
Namasté 🙏🏻