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Tagebuch

Ein Hoch auf das Tagebuch – Eine neue Sicht auf eine alte Sache

Irgendwie hat das Tagebuch ein eigenartiges Image bekommen. Mittlerweile scheint es beinahe verpönt zu sein Tagebuch zu schreiben. Es scheint etwas Unmodernes oder Altbackenes an sich zu haben, etwas geradezu Kindliches. „Journaling“ sagt man heute dazu, was jedoch auch nicht dasselbe sein soll wie das Schreiben eines Tagebuchs.

Ich möchte hier den Begriff „Tagebuch“ wieder aus der Versenkung holen, die Sicht auf den Akt des Schreibens über sich selbst etwas abstauben und generell dazu ermutigen zu schreiben, wenn Dir danach ist, und Dich ebenso von Begriffen und Vorstellungen zu lösen, die irgendwo da draußen über das Schreiben eines Tagebuchs kursieren.

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Immer wieder lese ich in den letzten Jahren, dass man das Tagebuch mit kleinen Mädchen verbindet, die mehr oder weniger regelmäßig ihren Tagesablauf skizzieren und darüber in noch ungeschickter, krakeliger und kindlicher Handschrift berichten die Oma besucht zu haben oder das erste Mal auf einem Pferd geritten zu sein. Die Seiten werden zusätzlich mit bunten Stiften verziert, den geschriebenen Worten wird mit kleinen Zeichnungen, Stickern und eingeklebten Dingen, die ihnen im Alltag begegnen und sie für wichtig empfinden, Ausdruck verliehen. Ein kleines Schloss am Umschlag soll (zumindest auf den ersten Blick und als kleines Statement für mögliche „Eindringlinge“) verhindern, dass sich Unbefugte Zutritt zu diesen geheimen und persönlichen Zeilen verschaffen. 

Das Tagebuch meiner Kindheit

Und ja, genau DAS ist Tagebuch schreiben. Ich selbst habe mit 13 Jahren angefangen Tagebuch zu schreiben, weil ich zu meinem Geburtstag von meinen Eltern eines geschenkt bekam. Für mich war es ein wunderschönes und außergewöhnliches Geschenk. Es war so persönlich. Es hatte nur mit mir zu tun. Es war anders als eine Kassette mit einem neuen Hörspiel oder den neuesten Bravo Hits. Es war auch anders als die Klamotten, die Eltern einem besorgen, weil man aus den bisher getragenen schon wieder rausgewachsen ist, man einfach neue braucht, die Eltern viel Geld dafür ausgeben, sie deswegen mit auf den Gabentisch legen, damit man wenigstens wahrnimmt, dass sie sie besorgt haben, aber die Kinder und Jugendlichen meistens wenig an den Kleidungsstücken interessiert sind, vor allem dann, wenn sie an der Auswahl selbst nicht beteiligt wurden. 

Also begann ich zu schreiben. Ab da mehr oder minder regelmäßig. Und ja, ich war natürlich genauso ein Mädchen, dessen Tagebuch vollgeschrieben, bunt und verziert war. Manchmal habe ich sogar einzelne Seiten parfümiert. Ich traf mich regelmäßig mit meiner besten Freundin und immer wenn wir beieinander übernachteten, schrieben wir zusammen: sie in ihres und ich in meins. Wir tauschten dabei Sticker aus, überlegten gemeinsam, wie wir die Seiten diesmal gestalten wollten. Geheimnisse hatten wir damals sowieso keine voreinander, weswegen der Akt des Schreibens für uns so offen gestaltet werden konnte. Es war eine schöne Zeit. Eine aufregende Zeit. Die Zeit, in der man schon schon längst nicht mehr alles mit seinen Eltern teilte. 

Und natürlich muss ich zugeben, dass ich damit das Bild natürlich bestätige, dass anscheinend die Gesellschaft mittlerweile vom Tagebuch hat. Aber warum auch nicht? Was ist falsch an dem Bild? Wenn ein Mensch bereits im Kindesalter beginnt zu schreiben – und viele Schreibanfänge haben tatsächlich einen autobiografischen Charakter in Form eines Tagebuchs – dann sieht es genauso aus. Kinder sind noch unbedarft, verspielt, direkt und weniger reflektiert, dafür aber freier, offener und vor allem kreativ. Aber wie wertvoll ist es doch, wenn ein Mensch diesen Weg findet sein Leben zu skizzieren und sich mit sich und der Welt auf diese Weise auseinanderzusetzen, und zwar völlig unabhängig vom Geschlecht.

Doch nur weil man älter wird und weiterhin Tagebuch schreibt, heißt das nicht zwingend, dass der Diarist auf dem Niveau eines Kindes mit seinem Schreiben hängen bleibt. Ganz im Gegenteil. Das Tagebuch und der Akt des Schreibens wächst mit der Schreiberin oder dem Schreiber.

Allein das Schreiben ist wichtig

Zumal es keinerlei Vorgaben gibt, wie ein Tagebuch zu schreiben ist. Wer schreiben will, schreibt. Und zwar genauso wie es für ihn persönlich richtig und wichtig ist. Selbst wenn es Vorgaben gäbe, würden die wenig Sinn machen, weil jeder seine ganz individuelle Art des Schreibens finden muss, damit es für ihn Sinn macht und Nutzen hat. Und diese Art und Weise, wie und was geschrieben wird, ergibt sich für den Schreibenden ganz von selbst. Für die meisten ist nur wichtig, dass sie überhaupt schreiben. Wie man es nennt und ob es dabei in eine klassifizierbare Form passt, spielt dabei meistens keine Rolle. Warum auch?! Daher ist für viele letztlich völlig unerheblich, wie es genannt wird. 

Dennoch konnte ich auch an mir selbst beobachten, dass mich all das Gerede und Kleinmachen des Tagebuchs irgendwie beeinflussten.

Inzwischen schreibe ich mehr oder weniger konstant tatsächlich, seit ich 13 Jahre alt war. Und ja, es gab auch kleinere und größere Krisen. (Hier habe ich schon mal ein paar Details über meine eigene Schreibbiografie preisgegeben.) Zeiten, in denen ich fast nicht schrieb, weil ich den Bezug zu meinem eigenen Schreiben verlor, den Sinn nicht mehr darin sah, es versuchte zu hinterfragen, mich oft in negativer Weise auseinandersetzte mit den Dingen, die in mir vorgingen und mich irgendwann fragte, ob ich mich mit meinem Schreiben selbst in dieser negativen Sicht festhielt. Doch die Phasen ohne Schreiben in meinem Leben waren nicht weniger zufriedenstellend. Ich schrieb zwar nicht mehr, der Wunsch und Drang danach war dennoch weiterhin vorhanden, nur blieb er jetzt unbefriedigt. 

Tagebuch oder Journal

Und genau in solch einer Krise begegnete mir der Begriff „Journaling“ das erste Mal. Plötzlich standen dort all die doch eher negativ besetzten Dinge über das Tagebuch. Wie oben eben beschrieben: kindlich, platt, ohne Reflexion, auf die eigentlichen Fakten und zeitlichen Verläufe beschränkt. 

Irgendwie erschütterte es meine Grundfesten, was mein Schreiben anging. Ich tat es bis dahin einfach. Schreiben. In all den Jahren. Nie hatte ich hinterfragt, wie es getan werden muss oder was genau wie beleuchtet werden soll. Doch dann las ich mehrere Artikel über das Journaling als die „erwachsene Form des Tagebuchs“. War das der Grund für meine Krisen? Dass ich mich nicht weiterentwickelt hatte? Und hatte ich mich weiter entwickelt oder erschien es mir nur so, weil man sich in manchen Situationen einfach selbst zu nahe steht und den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht sieht?

Plötzlich konnte ich nicht mehr schreiben, auch wenn ich es noch so sehr wollte. Etwas, das ich bis dahin mehr oder weniger intuitiv getan hatte, funktionierte nun nicht mehr. Machte ich grundsätzlich etwas falsch? Und wo genau lag der Unterschied zwischen einem Tagebuch und einem Journal? Was machte das eine besser als das andere? Warum bekam der Begriff des Tagebuchs solche Schrammen?

Der Unterschied zwischen einem Tagebuch und einem Journal

Das Tagebuch ist eine Form des autobiografischen Schreibens, bei dem in chronologischer Abfolge möglichst täglich schriftlich festgehalten wird, was man so erlebt hat. Das kann ganz platt, direkt und ohne große Ausschmückungen stattfinden, in Anstrichen, Stichpunkten, halben Sätzen. Anschaulich oder wirklich nur an Fakten orientiert. Aber genauso wehrt sich kein Tagebuch dagegen, wenn die niedergeschriebenen Inhalte tiefer gehen und man das Schreiben dazu nutzt sich selbst zu reflektieren. Ich bezweifle, dass es da Grenzen gibt und irgend jemand behaupten würde, dass man da die Grenzen des Tagebuchschreibens schon lange verlassen hat. 

Das Journal allerdings, das uns hierzulande erst seit ein paar Jahren so in der Form ein Begriff ist, wohl aber bereits seit den 70er Jahren in den USA mit messbarem Erfolg als Therapiemethode eingesetzt wird, setzt sich mit dem Erlebten auseinander. Man hinterfragt das eigene Tun und Erleben reflexiv, was man so wohl im Tagebuch nicht tut. Ein Journal kann, muss aber nicht, datiert werden. Es kann etwas wilder gestaltet werden, ältere Notizen und Aufzeichnungen können korrigiert, durchgestrichen oder auch ergänzt und erweitert werden. Es kann Querverweise geben, es darf gesprungen werden.

Wirklich ein Unterschied?

In meinen Augen ist der Unterschied zwischen diesen beiden Schreibformen nicht wirklich gravierend. Ich höre schon die ersten Aufschreie derer, denen diese Unterscheidung wichtig ist. 

Doch ich möchte gerne aufräumen mit dem Bild der kleinen Mädchen, die über Ponys und die Sommerferien schreiben. Denn letztlich ist dieses Bild natürlich richtig und realistisch. Doch das kleine Tagebuch-schreibende Mädchen wird irgendwann groß. Menschen, die seit ihrer Kindheit schreiben, wissen bestens, dass sich das Schreiben über die Jahre und Jahrzehnte von ganz allein und völlig automatisch mit dem eigenen Reifeprozess und Erwachsenwerden verändert. Natürlich bleibt es nicht dabei über Ponys zu berichten. Wer über all die vielen Jahrzehnte des Schreibens all seine alten Tagebücher noch hat, kann diesen Entwicklungsverlauf, der ja eng auch an das eigene Denken und Fühlen geknüpft ist, mitverfolgen. 

Für mich ist es nur Wortklauberei einen Unterschied zwischen Journal und Tagebuch zu machen. Da wird mal wieder etwas Altes auf den Markt geworfen, hübsch in ein neues, nicht mehr deutsches Wort verpackt, es wird hochgehoben, schön geredet und ein Haufen Gewese darum gemacht und schon findet es Anhänger. Da wurde eine alte Nische unter neuem Namen wiederbelebt und schon kann man wieder Geld damit machen. 

Ein Tagebuch ist Dein Freund und Begleiter. Seine Seiten sind geduldig und verschwiegen. Und sie sind Dir immer zugeneigt, bewerten nicht, was Du schreibst, lachen Dich nicht aus, drücken Dir nicht einfach überfordert wieder in die Hand, was Du ihnen anvertraust, bewahren aber Deine Geheimnisse und lassen Dich zurückblicken zu früheren Zeitpunkten und Phasen in Deinem Leben, und zwar immer dann, wenn Du die Bereitschaft dazu verspürst, durch das Lesen des bereits Geschriebenen noch einmal in die Vergangenheit eintauchen zu wollen. 

Schreiben, ein genügsames Hobby. Oder etwa nicht (mehr)?

Schreiben ist eigentlich eine sehr preiswerte Leidenschaft. Eine der günstigsten Beschäftigungen auf dem weitem Feld der Hobbys. Der Diarist kommt, bis auf ein paar kleine Schreibutensilien, ohne große Ausgaben aus. Er benötigt nicht mehr als Stift und Papier. Und natürlich sich selbst. 

Doch mit der Journaling-Welle kommen nun auch Journals herangeschwappt, die man bereits vorgefertigt kaufen kann. Es gibt Erfolgsjournals, Achtsamkeitsjournals, Dankbarkeitsjournals, Liebes- und Beziehungsjournals und viele mehr. Für jeden Lebensbereich bekommt man heute so ein Werk. Dort sind dann bestimmte Denkanstöße schon vorgegeben in Sätzen, die wir vervollständigen können oder in Fragen, die unsere schreibend reflektierende Seele in bestimmte Richtungen lenken soll.

Das ist beinahe eine Wandlung, die man auch in Kinderzimmern beobachten kann. Da gibt es mittlerweile Feuerwehrautos mit Sirenen und funktionierenden Wasserschläuchen und Puppen, die sprechen, weinen, Bäuerchen und Pipi machen, Fieber bekommen und was weiß ich noch alles. Als ich Kind war, durfte ich meine Fantasie noch bemühen und all die benötigten Geräusche selbst produzieren. Heute wird den Kindern das Fantasieren und Spielen abgenommen. Geben wir der Entwicklung noch ein paar Jahre, dann spielt das Spielzeug alleine und die Kinder mutieren zu reinen Zuschauern.

Bei den Journals fühlt es sich bald ähnlich an. Auch da fehlen noch ein paar Jahre und wir bekommen fertig geschriebene Journals nach Hause. Wir müssen uns dann nicht mehr selbst bemühen unsere Gedanken niederzuschreiben, sondern dann steht bereits beim Kauf drin, was wir denken. 

Das gute, alte Tagebuch und seine 1000 Möglichkeiten

Vielleicht klingt der Begriff etwas altbacken und unmodern, jedoch nur für die Menschen, die nie eines geschrieben haben oder die nur schreiben wollen, weil es hipp ist. Andererseits muss nicht jeder, der gern schreibt, automatisch auch Tagebuch schreiben. Und nicht jeder, der schreiben will, möchte den Akt des Schreibens zur Selbstreflexion nutzen bzw. verarbeiten sie ihre inneren Welten indirekter in all ihren Texten, von welche Themen diese auch immer handeln mögen.

Das Tagebuch hat diesen schlechten Ruf nicht verdient. Es ist erst einmal von Außen betrachtet ein ganz privates Büchlein, das nur dem Schreiber selbst gehört. Und zwar so lange bis dieser sich dazu entscheidet, andere Menschen an dessen Inhalten teilhaben zu lassen. Es ist ein Büchlein mit leeren Seiten und es steht demjenigen, dem es gehört, absolut frei es für sich so zu nutzen, wie er es für richtig hält. Ganz egal, ob er dabei jeden Tag einen Eintrag macht oder nur aller paar Wochen oder Monate mal, ob er in Sätzen oder lediglich in Stichpunkten schreibt. Ob er seinen Tag nachskizziert oder reflektiert, wie er sich bei dem, was er erlebt hat, empfunden und gedacht hat. Oder ob er sich generell nur Text oder gar in Illustrationen und Zeichnungen ausdrückt, Karikaturen zeichnet oder Sinnsprüche aufschreibt. Ob er Dinge einklebt, die ihn an etwas erinnern oder wild in den Seiten herumkrakelt, ob er seine Empfindungen in literarischen Gedichten verarbeitet oder oder an eine imaginierte Seele in Form von Briefen schreibt. Alles ist offen und geht nur den etwas an, der es schreibt. 

Tagebuch

„Schreiben ist Leben.“

Diesen Satz hat die Leiterin eines Workshops, den ich im November 2018 besuchen durfte, in ihrem Fazit mit fallen lassen. Und sie hat recht. Tatsächlich ist Schreiben Leben. 

Aber nicht nur, weil man nur lebt, wenn man schreibt. Sondern weil die, die schreiben wollen, schreiben müssen, weil sie ohne das Schreiben nicht können. Und dabei ist es völlig irrelevant, ob diese Menschen vom Schreiben leben können oder es als private, ganz persönliche Leidenschaft pflegen. Wie ein Mensch ein Musiker ist, wenn er in der Lage ist, ein Instrument zu bedienen und dies in seiner Freizeit auch tut, und sei es nur für sich selbst, so ist ein Schreiber immer auch ein Autor. Und wenn er dabei nur Autor seines eigenen Lebens in Form von autobiografischen und persönlichen Niederschriften ist.

Schreiben ist immer etwas äußerst persönliches und soll es auch unbedingt bleiben. Es ist eine eigenständige Kunstform, egal, was geschrieben wird und ob es jemals ein Mensch zu lesen bekommt. Hier sollte es nicht darum gehen, wie man es tut, sondern ausschließlich darum, dass man es tut, wenn einem etwas daran liegt, man Spaß daran hat und es einem selbst gut tut. Und das sind die Gründe, weswegen Menschen schreiben: Sie können einfach nicht anders. 

Deswegen hängen wir uns doch nicht an Worten und Namen für das auf, was wir da tun, wenn wir Papier und Stift vor uns haben. Wir tun es einfach. Wir sollten nicht zu kopflastig werden bei etwas, das so rein intuitiv stattfinden kann wie das Schreiben eines Tagebuchs. Eine Leidenschaft, die keinerlei Risiken birgt, außer dem hohen Papierverbrauch (vorausgesetzt natürlich, dass überhaupt noch mit der Hand geschrieben wird, wobei zumindest beim Tagebuch dies bei vielen Menschen wohl noch der Fall ist).

♥ Schreibe, was auch immer Du magst, aber schreib, wenn Dir danach ist. ♥

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