In unserem Kopf, in unseren Gedanken ist über den Tag hinweg viel los. Wir Menschen hier in der westlichen Welt sind insgesamt ein sehr kopflastiges Volk, generell mehr Kopf- als die Bauchmenschen. Forscher haben festgestellt, wir haben bis zu 60.000 Gedanken an einem Tag. Das ist eine ganze Menge. Oft nehmen wir sie gar nicht wahr. Wer jedoch in Achtsamkeit geschult ist, bekommt vielleicht zumindest einen Teil davon mit. Aber oft sind wir so sehr in unserem Denken verstrickt, dass wir es noch nicht einmal bemerken.
Kopf oder Bauch?
Daher ist unser Geist also ein ziemlich windiger, unruhiger und wankelmütiger Geselle, der uns – oft unbemerkt – auch „mißbrauchen“ kann.
Wir schätzen, wenn Menschen „etwas im Kopf haben“. Wir schätzen Kopfintelligenz mehr als Bauchintelligenz, Wissen ist uns wichtig und wir eifern Schönheitsidealen hinterher, die fragwürdig sind. Einen Bauch zu haben, ist für viele schon fast beschämend. Generell muss man ja sagen, dass wir alle einen haben. Jeder Mensch hat einen Bauch. Doch bedeutet „einen Bauch zu haben“ meistens, er ist zu groß, nicht fest genug, steht zu weit nach vorne oder entspricht in irgendeiner anderen Form nicht der von der Gesellschaft und den Werbetafeln in unseren Städten suggerierten Form. Damit lehnen wir ihn ab, verweigern dieser vermeintlichen „Problemzone“ unsere Aufmerksamkeit und lenken den Kontakt zu uns selbst lieber in den Kopf.
Allerdings ist der Kopf ganz oben. Dort bildet er die Krone. Wir tragen ihn „in den Wolken“. Allerlei windige Ideen brausen dort durch. Ideen, die schnell wechseln können und unsere Stimmungen beeinflussen. Obwohl unsere Wahrnehmung im ganzen Körper beheimatet ist, geht doch für uns nach wie vor viel vom Kopf aus. Dort ist das Zentrum, wo alles zusammenläuft, aufgenommen und verarbeitet wird. Wir messen dem Kopf und damit unserem Geist viel Bedeutung zu. Auch Meditationsanweisungen wie „Nimm wahr..“ und „Spüre hinein..“ verorten wir von dort aus.
Stress und viele Gedanken
Gerade in Zeiten von Stress wirbelt in unserem Kopf alles durcheinander. Die Gedanken rauschen. Sie rasen durch unseren Kopf wie ein Auto mit 240 km/h über eine Autobahn. Dann ist in unserem Kopf gefühlt nur noch Brei und nach außen hin werden wir fahrig. Wir wollen dann tausend Dinge gleichzeitig tun, wechseln zwischen mehreren Tätigkeiten wild hin und her, verzetteln uns immer wieder und sind schlussendlich ineffektiver denn je – haben also trotz Stress und Hektik – nicht wirklich etwas geschafft, haben vielleicht auch noch Fehler gemacht, Dinge fallen gelassen und uns ungeschickt benommen, was uns so noch mehr Arbeit beschert als wir sowieso schon haben. Hinterher sind wir unglaublich angespannt, finden kaum Ruhe und Entspannung, ärgern uns, haben das Gefühl nicht genug Zeit für all unsere Aufgaben zu haben, können das Stresslevel nicht wie auf Knopfdruck herunterfahren und sind auch noch unzufrieden mit dem Ergebnis unseres Handeln.
Im alltäglichen Chaos gibt es für mich immer mal wieder auf Augenblicke oder Situationen, in denen es anscheinend nicht ausreicht nur achtsam meine Gedanken, ihr Kommen und Gehen und meine Gefühle und Empfindungen darauf zu beobachten. Denn manchmal ist es einfach zu viel. Es fühlt sich dann an als habe sich das Denken verselbstständigt, als habe es die Führung über mich übernommen und als sei es etwas, das sich permanent aus sich selbst heraus antreibt. Es macht mich dann regelrecht atemlos, als hetzt es mich, als sei etwas hinter mir her, ohne eine tatsächlich reale Gefahr. Das Bei-mir-bleiben und mich in das, was ist hineinzuentspannen, hilft mir nicht diesen Kreislauf der totalen Anspannung und des absoluten Stress zu durchbrechen.
Das Hara – Unsere Mitte
Das Hara-Zentrum kann uns helfen aus unserem gedankenbelasteten Kopf herauszukommen, aus dem Gedankenkreisel auszusteigen und tiefer in uns einen Ort des Friedens zu finden. Es liegt in unserem Bauch, etwa 4 – 5 Zentimeter unterhalb unseres Bauchnabels und bildet dort unsere Mitte. Allerdings liegt es nicht gleich unter der Hautoberfläche, sondern tief in Deinem Bauch und mehr zur Wirbelsäule hin. Das Wort „Hara“ kommt aus Japan. Dort meint es allerdings nicht nur den „Bauch“ als solchen, sondern das ganze Energiesystem, das dort beheimatet ist. Es wird auch als „die Quelle des Lebens“ bezeichnet und kann eher spirituell als intellektuell begriffen werden. Dort entspringt unser Leben und wird dort auch zu Ende gehen. Wenn es diesem Punkt gut geht, ist der Mensch sozusagen „in seiner Mitte“. Das Hara ist das Zentrum unseres Seins und Ausdruck unserer Lebensenergie.
Wenn sich unser Bauch wohl fühlt und harmonisch arbeitet, können wir auch wahrnehmen, dass es uns gut geht, wir zufrieden sind und uns gut in unserem Sein verankert fühlen. Ist es in unserem Bauch ruhig, sind wir es auch. Dann sind auch unsere Gedanken und Gefühle ruhiger. Umgekehrt heisst das, dass wir unruhiger werden, wenn es in unserem Bauch unruhig ist. Für ein ganzheitliche Gesundheitsverständnis kommt diesem Zentrum besondere Bedeutung zu. Das Hara ist dabei nicht nur ein Punkt, eine Stelle in unserem Körper, sondern Lebenseinstellung, eine Sicht auf das Leben, ja wahrscheinlich sogar das Leben an sich.
Wie Du Deine Mitte pflegen kannst
Hier gibt es nun einige Anregungen, die der Pflege Deiner Mitte dienen können und die Dir helfen werden etwas mehr aus dem Kopf und rein in den Bauch zu kommen, um Ruhe, inneren Frieden und Entspannung zu finden und das Loslassen unterstützen:
1. Achtsamkeit in den Bauch bringen
Verankere Deine Achtsamkeit immer wieder in Deinem Bauch. Suche bewusst immer wieder Deine Mitte auf.
Vor allem wenn Du merkst, dass es in Deinen Gedanken turbulent zugeht, es Dir dort zu viel wird, Du verkauft bist und keine Ruhe findest. Wenn Dir also auch die Fokussierung auf den Atem keine Besserung bringt oder Dir die reine, urteilsfreie Wahrnehmung des Kommens und Gehens der Gedanken (ohne sich in ihnen zu verstricken) schwer fällt, verlagere Deine liebevolle Aufmerksamkeit lieber in den Bauch. Verweile dort und spüre nach, wie Dein Geist langsam ruhiger wird.
Besuche Deinen Bauch tagsüber immer mal wieder, wenn Du ein paar Atemzüge achtsam bist, um Dich zu erden und wieder zurück in die Mitte und ins Gleichgewicht zu bringen.
2. Wärme für den Bauch
Halte Deinen Bauch gut warm. Kleide Dich warm und lege öfter mal, wenn Du die Gelegenheit dazu hast, Deine warme Hand auf Deinen Bauch. Verbinde diese Geste auch mit ein paar Momenten Achtsamkeit, indem Du in Deinen Bauch hineinspürst und die Wärme Deiner Hand wahrnimmst. Tut sie gut? Löst sich etwas in Dir?
Wenn Du mehr Zeit hast und Dir insgesamt kalt ist, kannst Du auch gern eine Wärmflasche auf diese Stelle legen.
3. Die Atembewegungen im Bauch verfolgen
Lege Dich, wann immer Dir danach ist, auf den Rücken und verfolge einfach nur die Atmenbewegungen der Bauchdecke auf Hara-Höhe. Lass dabei den Bauch entspannt sein. Leider sind wir dort oft angespannt durch das tägliche Chaos in unserem Alltag. Stress spannt automatisch auch unseren Bauch an. Lass nun los und lass zu, dass sich Dein Atem bis in Deinen Unterbauch ausbreitet.
Dabei musst Du die Atmung nicht beeinflussen. Lass den Atem nur frei fließen und den Bauch so entspannt sein, dass die Region unter Deinem Bauchnabel sanft davon berührt wird.
4. Hara-Meditation
Anando Würzburger hat eine Meditation entwickelt, die sich ganz besonders an das Hara richtet, es stärkt und nährt, die ich sehr empfehlen kann.
5. Osho und das Hara
Auch der indische Mystiker Osho hat eine kleine Übung zum Hara vorgestellt, die sich – regelmäßig über ein Vierteljahr hinweg praktiziert – zu unserem Vorteil entwickeln kann und unsere Wahrnehmung des Haars unterstützt. Sie dient vor allem dazu sich des Haras erst einmal bewusst zu werden und zu lernen uns in unserem Bauch zu verankern.
💚 Ich wünsche Dir viel Freue bei der Baucherweckung. 💚