Erwartungen sind ein tückisches Phänomen. Denn unsere Erwartungen verändern sich nicht nur mit der Zeit. Ja, sie mutieren regelrecht und werden irgendwann tatsächlich auch unrealistisch. Das zeigt sich gut an unserer Höher-Schneller-Weiter-Gesellschaft, die anscheinend niemals genug hat, niemals zufrieden ist und niemals Frieden und Ruhe zu finden scheint. Aber vor allem machen sie uns starr und unflexibel gegenüber dem, was uns das Leben tatsächlich entgegenbringt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Je größer unsere Erwartung an etwas ist, desto stärker laufen wir in Gefahr enttäuscht zu werden und uns damit vielleicht sogar zu verschließen für das, was der vermeintlich enttäuschte Moment für uns bereit hält.
Erwartungen lauern immer und überall
Erwartungen! Ha, wer hat sie nicht. Schon an die kleinsten Begebenheiten in unserem Leben haben wir Menschen Erwartungen. Und wir erwarten stets und ständig alle möglichen (und auch unmöglichen) Dinge: Dass das Wetter schön wird. Dass es uns gut geht und wir gesund sind. Dass der Pickel möglichst schnell verheilt ist. Dass morgens das Bad frei ist, wenn wir es endlich geschafft haben uns aus dem Bett zu schälen. Dass die Kaffeemaschine in der morgendlichen Müdigkeitsnot ihren Dienst tut. Dass es die Dinge im Laden gibt, auf die wir gerade Appetit haben. Dass der selbstgebackene Kuchen genauso perfekt wird, wie auf dem Bild im Rezeptbuch abgebildet. Dass wir gut schlafen. Dass sich Leute über unser Geburtstagsgeschenk freuen und alle um uns herum ebenso auch an unseren eigenen Geburtstag denken. Dass unser Gegenüber auf eine bestimmte Weise reagiert, er unser „Ich liebe Dich!“ genauso inbrünstig erwidert, wie wir es ihm entgegengebracht haben und wir in seinen Gedanken der einzige Mensch sind, an den er tagsüber in liebevollen Erinnerungen denkt. Wir erwarten, dass auf Arbeit keine unerwarteten Dinge geschehen und sich unser herbeigesehnter Feierabend nicht unnötig nach hinten verzögert. Dass unser Wochenende harmonisch verläuft, schließlich gibt es ja pro Woche nur EIN Wochenende. Dass wir beim Arzt schnell dran kommen und nicht stundenlang im Wartezimmer zwischen Dahinsiechenden zubringen müssen, auch wenn wir ohne Termin in der Praxis vorbeischneien. Dass die öffentlichen Verkehrsmittel pünktlich sind und wir einen Sitzplatz bekommen, möglichst am Fenster und ohne diesen teilen zu müssen mit jemandem, den wir nicht kennen und der uns durch die Enge des Fahrzeugs viel näher käme als wir das mögen. Dass sich unsere Kinder so entwickeln und verhalten, wie wir uns das vorstellen und für sie wünschen. Wir erwarten, dass wir bei einer angestrebten Diät in möglichst kurzer Zeit möglichst viel abnehmen, dass wir innerhalb kurzer Zeit und mit möglichst wenig Anstrengungen in einem Projekt erfolgreich werden, dass wir mit den bei Ebay versteigerten Gegenständen möglichst viel Geld herausholen..
Und so weiter und so fort. Diese Liste lässt sich persönlich anpassen und beliebig erweitern. Auch wenn uns bestimmte Dinge vielleicht albern vorkommen und belustigend klingen; geht man erstmal so gedanklich durch seinen eigenen Alltag, stellt man schnell fest, dass wir die banalsten und skurrilsten Sachen erwarten.
Hat sich eine Erwartung erfüllt (oder eben auch nicht), stellen wir gleich die nächste Erwartung an.
Erwartungen sind ein schlechter Ratgeber
Doch je mehr wir erwarten, desto größer ist die Chance enttäuscht zu werden. Ja, ich weiß, das ist jetzt natürlich keineswegs eine neue Erkenntnis. Ganz im Gegenteil. Eher klingt das ganz nach einem Spruch, den mir bereits meine Oma schon hätte mit weisem Blick vermitteln können.
Dennoch ist das Problem mit den Erwartungen für den modernen Menschen nicht kleiner geworden. Ganz im Gegenteil. Je schnelllebiger unser Alltag und Leben insgesamt wird, je mehr wir scheinbar über alles verfügen, was wir brauchen könnten, je mehr Überfluss herrscht und ja medialer unsere Welt wird, desto mehr erwarten wir, dass es immer alles gibt, dass alles zu jederzeit und in ausreichendem Maße vorhanden ist und uns zur Verfügung steht, wir jedes unserer Bedürfnisse zu jedem nur möglichen Zeitpunkt befriedigen können. Und dabei übersehen wir, dass wir kleinen nörgelnden Kindern gleich am Tag in Fließbandtempo in schlechte Laune verfallen und man fast Schleudertrauma bekommen könnte von all den Stimmungswechseln, die uns den Tag über begleiten:
„Verdammt, wo bleibt eigentlich die Tram. Schon 2 Minuten überfällig, so bekomme ich die Anschlussbahn nie. (Stimmung ist am Boden, Wut macht sich breit.) Großartig, da kommt sie ja endlich. (Stimmung hebt sich, Erleichterung setzt ein.) Scheiße, ist die Bahn aber voll. 1000 Menschen, die alle zur gleichen Zeit irgendwohin wollen. Nicht ein einziger Sitzplatz. (Unmut macht sich breit). Oh nein, Anschlussbahn verpasst. (Unmut verstärkt sich) Ich bin nun zwar zu spät, jedoch habe ich wenigstens in der Anschlussbahn einen Sitzplatz. Wenigstens etwas. (Stimmung hebt sich etwas.)
Erwartungen tarnen sich gern
Das Wort „Erwartung(en)“ wird gern unbewusst hinter Begriffen wie beispielsweise „Wünsche“, „Vorstellungen“, „Hoffnung“ und „Zuversicht“ versteckt. Aber eigentlich erwarten wir.
Der Grad der Enttäuschung hinterher zeigt an, wie stark wir wirklich erwartet haben statt vielleicht lediglich gewünscht, vorgestellt oder gehofft.
Erwarten heißt nicht im Jetzt zu sein
Wenn wir in eine Erwartungshaltung verfallen, fallen wir gleichzeitig auch raus aus dem Hier & Jetzt. Erwarten können wir immer nur in der Zukunft. Es zieht unsere Aufmerksamkeit ab vom jetzigen Moment und unser Verstand verfällt in den Erwartungsmodus, der uns den eigentlichen Augenblick um uns herum verpassen lässt.
Auch bedeutet es, dass wir uns die Zukunft bzw. einen bestimmten zukünftigen Moment, ein zukünftiges Geschehen auf eine bestimmte Weise wünschen. Damit verschließen wir uns allen anderen Möglichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist dann nämlich höher, dass das, was wir erwartet haben, nicht eintritt, wir darüber enttäuscht sind und vielleicht gar nicht offen sind für das, was sich jedoch stattdessen ergeben hat und welche Möglichkeiten sich uns stattdessen eröffnen.
Erwartungen beobachten und loslassen
So, da kommt nun der „schwierige“ Teil: Das Loslassen von Erwartungen, die uns nicht zuträglich sind und blockieren, dass wir im Fluss bleiben mit dem Leben und den Dingen, die uns tagtäglich begegnen.
Beobachten
Daher lade ich Dich diese Woche ein, doch einmal genau hinzuschauen, an welchen Stellen Du in Deinem Leben konkrete Erwartungen hast. Wann sind diese berechtigt? Wann sind sie es vielleicht auch nicht? Wie stark erwartest Du? Und was passiert mit Dir, wenn sich Deine Erwartungen erfüllen bzw. eben auch nicht erfüllen?
Schau erst nach den wirklich prägnanten und augenscheinlichen Erwartungen. Die Dinge, die auch alltagsorganisatorische Abläufe betreffen. Beobachte dann mal Deine Freizeit. Sind es da weniger Erwartungen, die Du hast? Oder steigert es sich dort noch? Gibt es Situationen, in denen Du sagen würdest: „Das erwarte ich ganz einfach!“? Und sind diese Erwartungen berechtigt?
Beobachte Dich im Tagesverlauf und achte besonders auf Deine Geisteshaltung. Wie offen ist Dein Geist für das, was vor Dir liegt? Wann und auf welche Weise erwartest Du? Wann erstarrt Dein Geist und bindet sich an eine bestimmte Vorstellung?
Loslassen
Und hast Du dies ein paar Tage lang beobachtet, versuche doch bei der Feststellung, dass Du Dich in einer Erwartungshaltung befindest, diese mal bewusst loszulassen. Öffne Deinen Geist. Mache Dich weit und sei bereit, anzunehmen, was auch immer kommen mag. Welche Situation sich auch immer einstellt. Löse Dich bewusst von Deinen Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen. Löse Dich auch von Deinen Sorgen. Lass alles los, was Dich dahingehend begrenzt, dem vor Dir liegenden Moment offen und akzeptierend entgegenzutreten.
♥ Lass einfach los und sei. ♥