Da gibt es dieses kleine Fleckchen Erde in Leipzig. Vergessen. Verwachsen. Abgelegen, und doch auch wieder nicht.
Soeben war man noch auf der Hauptstraße in der Nähe einer großen Kreuzung, mitten im Großstadtgetümmel. Die Autos fahren, die Tram donnert über die Gleise. Und dann zweigt von einer der Hauptverkehrsstraßen ein kleiner, aber unscheinbarer Weg ab, führt über eine Art winzige Brücke. Und schon steht man im Grünen. Vor einem tut sich ein noch relativ offiziell wirkender Waldweg auf, der einfach nur geradeaus geht und an dessen Ende das leuchtende Grün der Bäume und Büsche mit der frühen Abendsonne zu verschmelzen scheint. Rechts davon geht ein kleiner Trampelpfad ab, der fast zu übersehen ist, wenn man nicht weiß, dass es ihn genau an dieser Stelle gibt. Verschlungen, verwachsen, verwunschen. Dieser kleine Trampelpfad, der aussieht als führe er ins Nichts, ist der nun mehr oder weniger inoffizielle Weg auf den Friedhof Dölitz.
Ich bin in dieser Stadt geboren und habe mein ganzes Leben lang hier gelebt. Aber vom Dölitzer Friedhof hatte ich noch nie zuvor gehört. Das soll nicht heißen, dass ich alle Friedhöfe der Stadt kenne. Mitnichten. Doch ist Dölitz seit mehr als 15 Jahren mein unmittelbar benachbarter Stadtteil. Und dennoch hat sich mir dieser verlassene Ort der letzten Ruhe in all den Jahren verborgen, obwohl ich meine, oft in der Natur unterwegs zu sein. Erst mein Bruder nahm mich neulich auf einen Ausflug dorthin mit.
Ein schmaler Trampelpfad führt einen einmal längst über den gesamten ehemaligen Friedhof. Auch sind noch immer einige Gräber mit Grabsteinen erhalten. Laut dieser Tafeln ehemaliger Lebensgeschichten haben an dieser Stelle Menschen bis in die Anfänge der 90er Jahre hier ihre letzte Ruhe gefunden.
Jedoch sind zu wenige Grabsteine übrig als das es einen ganzen Bestand darstellen würde. Aber noch immer sind es genug, um zu erkennen, dass es sich definitiv um einen Friedhof und nicht nur um eine vergessene Parkanlage handelt. Das ehemalige Haupteingangstor ist verwittert, rostig und wirkt inzwischen lange unbenutzt. Daneben schlängelt sich ebenfalls ein kleiner Trampelpfad um das eiserne Türchen herum. Vielleicht regelmäßig benutzt von ein paar Wissenden unter den Bewohnern umliegender Häuser.
Die Grabsteine stehen kreuz und quer, folgen keiner Anordnung. Ihre Inschriften sind noch deutlich lesbar. Doch gibt es nur am oberen Ende des Trampelpfades, der über den gesamten kleinen ehemaligen Friedhof führt, zwei Gräber, die noch gepflegt aussehen und mit frischen Blumen bepflanzt sind. Alle anderen zeigen an, dass sie lange niemand mehr besucht hat, obwohl das definitiv nicht der Fall ist. Wohl eher niemand, mit persönlichem Bezug zu den Verstorbenen. Es hinterlässt dort niemand mehr etwas – keine Blumen, keine Andenken. Nichts, was Menschen sonst auf Friedhöfen als Zeichen ihres Nicht-Vergessens zurücklassen. Anscheinend gibt es keine Angehörigen, die sich darum noch kümmern können oder wollen.
Fast am Ende des kleinen Weges steht gar noch ein Stückchen verwegener Friedhofsmauer mit Inschrifttafeln und davor befindlichen Grabarealen. Kleine hübsche Letzte-Ruhe-Gärten, wie sie wohl jeder Friedhof innen entlang der Friedhofsmauern aufweist. Die Grabstätten, die immer irgendwie nostalgisch, alt und auf ihre Weise pompös wirken, ohne arrogant zu sein.
Doch warum sind diese Gräber zurückgeblieben? Waren die 25 Jahre Bestandszeit für Gräber noch nicht vorüber als die Schließung des Friedhofs beschlossen und auch umgesetzt wurde? War eine Umsetzung nicht möglich oder gar nicht gewünscht? Warum wurde er überhaupt geschlossen?
Die Medien geben nicht viel preis dazu. Man kann nur entnehmen, dass es diesen Friedhof wirklich einmal gab. Ansonsten behält er seine Geschichte für sich. Aber das darf er auch. Vielleicht wäre sie gar zu unspektakulär und würde diesem Ort seinen Hauch von Mystik nehmen, das eigenartig romantische Gefühl zerstören, das einen auf alten Friedhöfen unweigerlich begleitet.
Einen Gang dorthin ist es dennoch alle mal wert und kann ich jedem, der in Leipzig wohnt oder diese Stadt einmal besucht und hübsche Orte sucht, ans Herz legen. Hier ist man wie in einer anderen Welt. Und man merkt kaum noch, dass man mitten in der Stadt ist.
Wenn Ihr also mal da seid, lasst einen Gruß da und seid achtsam.
♥ Ich wünsche Euch viel Spaß beim Erkunden. ♥
6 Gedanken zu “Der Dölitzer Friedhof – Ein vergessener Ort mitten in der Stadt”
Hallo Jana, auch ich habe diesen Ort zufällig entdeckt. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, versuche ich manchmal, etwas „asynchron“ zu gehen bzw. mir die Zeit für Umwege zu nehmen. Manchmal entdeckt man dabei etwas Neues, Interessantes. So auch hier! Ich war jetzt schon mehrere Male hier und einmal sah ich sogar ein Reh dort. Beim letzten Mal hatte ich einen älteren Mann gesehen. Er stellte sein Fahrrad ab und kümmerte sich um eines der letzten Gräber, um die sich noch jemand kümmert. Diese stechen ja geradezu heraus. Ein schöner, ungewöhnlicher Ort. Danke auch für deinen Bericht (den ich bei meiner Recherche danach fand). T.
Hallo Thomas,
hab vielen lieben Dank für Deine für Deine schönen Eindrücke, die Du mir dagelassen hast. 🙏🏻💚
Achtsame Grüße,
Jana
I live in San Francisco but remember going to the cemetery when my grandfather’s cousin past away in 1984. Then it was still a little overgrown. It was one of several family members buried there, some as early as 1918 during the influenza epidemic. I have been trying to locate it on a map, but cannot seem to find it. Can you give me the exact location? (I remember my cousin said that the grave were frequently turned over and you actually pay for the number of years that you want the stones to remain, but I guess that is common in Germany anyway). Thanks
Hello,
thank you for your message and informations about this cemetery.
I was also looking for his history, but I couldn’t find as good as nothing even though it’s in my own city.
On the maps this place is called „Alter Friedhof“. Here is the link to this place:
https://goo.gl/maps/5fBu9z51SXETEeLt5
Can you open it?
Have a good time and stay safe.
Kind regards
Jana
Danke für diesen Bericht. Ich habe diesen Friedhof kürzlich auch zufällig entdeckt als ich mir die Leute vom Wave-Gotik-Treffen anschauen wollte. Drei von ihnen machten auf dem Weg ein Fotoshooting. Der Weg selbst sah zu einladend aus, ich musste ihn erkunden. Ein schönes Erlebnis. Ich will nochmal hin. Liebe Grüße!
Lieber Matthias,
schön, dass auch Du ihn entdeckt hast. Die zufällige Begegnung mit diesem Ort ist noch viel schöner als einer Empfehlung zu folgen. Und ja, er bleibt auch beim zweiten und dritten Besuch noch schön und geheimnisvoll.
Vielen herzlichen Dank für Deine Worte.
Liebe Grüße zurück.