Beziehungen bestimmen unser Dasein. Wir stehen ständig in Beziehungen zu anderen Menschen. Doch ist jeder dieser zwischenmenschlichen Kontakte anders geartet. Bei manchen Menschen fühlen wir uns sehr wohl und wir sind gern mit ihnen zusammen, umgeben uns gern mit ihnen. Und dann gibt es da die Menschen, mit denen uns der Kontakt schwer fällt. Menschen, die wir nicht besonders mögen, ja denen wir vielleicht sogar richtig ablehnend gegenüber stehen, die in uns Unbehagen auslösen und denen wir lieber aus den Weg gehen.
Wenn wir auf Menschen treffen, die wir mögen und die wir bewundern für etwas, das sie können oder als Persönlichkeitsmerkmal an sich haben, projizieren wir damit Anteile von uns selbst auf das Gegenüber. Meist sind das Anteile, die wir an uns gar nicht wahrnehmen oder bemerken, diese aber dennoch als wichtig betrachten und sie unbewusst an uns selbst mögen.
Stehen wir in Beziehungen zu Menschen, die in uns unangenehme Emotionen auslösen, wie Wut, Unbehagen oder gar Traurigkeit, ist es im Grunde dasselbe Prinzip, nur eben umgekehrt. Auch diese Beziehungen spiegeln uns Anteile unseres Selbst, die wir gerne übersehen. Und trotz allem lohnt sich gerade auch hier ein zweiter Blick auf diese besondere Beziehung zu dieser Person. Denn im Grunde spiegelt sie uns etwas, dass wir selbst in uns ablehnen. Wir projizieren Anteile unseres Selbst auf diese andere Person, um uns zu schützen vor den Dingen, die wir an uns nicht wahrhaben wollen, die wir selbst an uns ablehnen und nur zu gerne von uns weisen.
Wir Menschen neigen also dazu unsere eigenen Schwächen abzuwehren und sie auf andere zu übertragen. So entstehen im Alltag unter Kollegen, in Freundschaften und Familien, in Ehen und Partnerschaften viele Unstimmigkeiten bis hin zu Streitereien und sogar Trennungen.
Schwächen als Schatten unseres Selbst
Das Unbehagen und die Disharmonie in einer Beziehung äußert sich oft in Eifersucht, Mißtrauen und Vorwürfen gegenüber dem Partner. Dies kann über alles Mögliche stattfinden wie beispielsweise erfahrene seelische Verletzungen und unerfüllte Vorstellungen und Wünsche. Mit (unbewusster) Vorliebe übertragen wir diese Gefühle auf die Menschen, die uns im Leben am nächsten stehen. Denn in keiner anderen Beziehungsform zwischen Menschen sind wir so direkt und unmittelbar mit den eigenen Schwächen, Unzulänglichkeiten, Verletzungen und Traumata konfrontiert wie in Liebesbeziehungen.
Wenn du diese Tatsache erst einmal als gegeben hinnehmen und akzeptieren kannst, wirst du einsehen müssen, dass es wenig Sinn macht, beim Auftreten von solchen Disharmonien in einer Beziehung, diese zu beenden und nach einem neuen Partner zu suchen. Vielleicht kennst du selbst ja das Phänomen, dass du in Beziehungen immer wieder nur bis zu einem bestimmten Punkt kommst und dann scheint alles wieder zu zerbrechen, der Partner scheint wieder derselbe zu werden, wie auch der Ex-Partner bereits. Unzufriedenheit tritt auf. Beide können immer weniger aufeinander zugehen. Es kommt häufiger zu Streitigkeiten. Und irgendwann ist mindestens einer von Beiden der Meinung, dass eine Trennung die einzige Lösung für das Problem sei. Bis man in der nächsten Beziehung wieder an genau dem selben Punkt mit genau den selben Empfindungen und genau der selben Lösung dafür kommt. Das Liebes- und Lebensdrama scheint wie ein „Perpetuum mobile“ – ein Zustand, der sich dauerhaft selbst erhält.
Und so kommt es, dass es viele desillusionierte Menschen gibt, die meinen, alle Frauen/Männer seien Arschlöcher/Idioten/Furien (was auch immer) und schwören sich nach Trennungen regelmäßig, nie wieder eine Beziehung einzugehen. Bis es wieder einen Menschen gibt, der einem Schmetterlinge in den Bauch zaubert und einem das Gefühl gibt, diesmal werde alles anders und hat erst der Alltag nach ein paar Monaten (oder Jahren) Einzug in der Beziehung gehalten, beginnt der Kreislauf von vorne.
Beziehungen als Lernprozess
Damit lehrt uns jede Beziehung zu einem anderen Menschen – egal ob wir diese selbst als positiv oder negativ bewerten – uns etwas über uns selbst. In einer Beziehung zu einem Menschen, die wir als negativ beurteilen, geben wir gern dem Menschen, der diese unangenehmen Gefühle in uns auslöst, die Schuld an genau diesen Gefühlen. Wir neigen dazu, diese Person dafür verantwortlich zu machen, dass wir uns unwohl fühlen und uns in ihrer Gegenwart nicht entspannen können. Dabei ist wichtig zu verstehen: Kein Mensch im Außen ist für das verantwortlich, was in uns vorgeht. Nur ich selbst bin für meine Gefühle und Gedanken verantwortlich.
Fühlen wir uns nicht wohl in Gegenwart einer bestimmten Person, sind wir geneigt, diese zu meiden und uns möglichst wenig mit ihr in Kontakt zu begeben. Dabei liegt gerade in diesen Beziehungen besonders viel Potential zur Selbsterkenntnis. Gerade diese Kontakte sind wichtig dafür uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und mal genau hinzuschauen, was wir da eigentlich an uns selbst gerade ablehnen.
Sieh diese Beziehungen gleichzeitig als Chance alte Verletzungen und vernarbte seelische Wunden ans Licht deines Bewusstseins zu zerren. Unser innerer Widerstand zeigt uns, welcher Weg der für uns im Moment effektivste ist.
Beziehungen als Weg zur Selbsterkenntnis
Das ist keine leichte Übung und erfordert am Anfang tatsächlich ein wenig Übung, haben wir uns doch selbst erfolgreich viele Jahre vor einem Hinschauen bewahrt.
Möchtest Du tatsächlich den Weg gehen, etwas über dich selbst zu erfahren? Wagst Du nach dem ersten Wahrnehmen negativer Gefühlen in einem Kontakt mit einer anderen Person einen zweiten Blick auf diese Beziehung? Dann schau einmal hin, was genau du an diesem Menschen nicht magst. Du kannst daraus großen Nutzen ziehen und deinen Horizont insofern erweitern, dass es Dir hinterher einen neue Sichtweise auf dich selbst erlaubt.
Statt Dich bei der nächsten Gelegenheit einem Menschen zu entziehen, der in Dir Widerstände hervorruft, lade ich dich daher ein, gespannt auf einen Kontakt mit dieser Person zu warten, um dann folgende Fragen etwas genauer zu beleuchten:
- Welche Gemeinsamkeiten hast du eigentlich mit diesem Menschen?
- Welche Vorzüge hat die Person?
- Was kann sie/er gut?
- Was magst du an dieser Person?
- Was magst du an dieser Person überhaupt nicht?
- Gibt es auch in unangenehmen Situationen mit diesem Menschen etwas, dass gut daran ist?
- Kannst du etwas in deiner Ablehnung erkennen, was mit dir selbst zu tun hat?
Dies funktioniert natürlich auch mit jedem anderen Menschen, der in dir Gefühle hervorruft, die dir unangenehm sind. Also auch dann, wenn dir dein Gegenüber bis zu diesem Moment völlig unbekannt war.
Andersherum darfst du dich natürlich ebenso eingeladen fühlen einen Kontakt näher zu erforschen, wenn er in Dir Freude, Glück und Wohlbehagen auslöst. Auch in einer solch positiven Beziehung gibt es viel zu entdecken. Schau dich also um, welche inneren Anteile deines Selbst für diese positiven Gefühle im Zusammensein mit der anderen Person dafür verantwortlich sind.